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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Wohnzimmer sitzend vor und Marietta vor ihm: Mal ging sie, mal drehte sie sich, daß sie in dem Kleid, das sie sich gekauft hatte, wie ein Kreisel aussah.
    »Was sagst du dazu, Giugiù?«
    »Es steht dir ausgezeichnet. Und du bist schön, sehr schön.«
      Wie denn? Was denn? Jetzt nannte sie ihn ganz einfach nur Giugiù? Wo war denn das »Onkel« geblieben? Und wo war mit dem »Onkel« der Respekt geblieben?

    Einen anonymen Brief senden, war das eine Sünde? Und wenn es so war, was für eine Art von Sünde war es dann? Das war der erste Gedanke, der ihm am nächsten Morgen kam, als er von Mariettas Stimme geweckt wurde. Die Cousine stand um halb sieben auf, machte den Mokka und brachte ihn Papà, der noch im Bett lag. Gegen halb acht war Papà schon bereit, ins Büro zu gehen, er nahm noch einen Mokka und ging fort. Dann fing Marietta an mit aller Kraft zu singen. An einem Morgen war es die Canzone:
    Io ti saluto e vado in Abissinia, cara Virginia, ti scriverò.
       Ich nehm' Abschied von dir und geh' nach Abessinien, liebe Virginia, und schreibe dir.

    An einem anderen Morgen eine andere Musik:
       Mamma, ritorno ancor nella casetta sulla montagna che mi fu natale. Son pien di gloria, amata mia vecchietta, ho combattuto in Africa Orientale.
       Mamà, ich kehre zurück ins Häuschen auf den Bergen, wo ich geboren bin. Ruhmbedeckt komm ich, mein liebes Mütterlein, gekämpft habe ich im Osten Afrikas.

    Das tat sie absichtlich, sie wußte, daß Michilino gerne alleine im Bett schlief, bis es neun schlug, aber dadurch, daß sie ihm Verdruß bescherte, zwang sie ihn, früher aufzustehen.
      An diesem Morgen aber war das Aufwecken ganz in seinem Sinn. Er wusch sich, zog sich an und eilte in die Kirche. Er wartete am Beichtstuhl, bis die Reihe an ihm war, kniete nieder und bekreuzigte sich.
    »Ich will beichten.«
    »Wie alt bist du?« fragte eine unbekannte Stimme.
    Es war ein neuer Geistlicher, vielleicht an Stelle von Padre Burruano hierhergeschickt. Michilino antwortete mit Nein auf jede Frage, die dieser ihm stellte, und fragte dann: »Einen anonymen Brief absenden, ist das eine Sünde?«
    »Wie?«
      Alles erwartete sich der Geistliche von einem siebenjährigen Jungen, nur nicht eine derartige Frage. Mit Engelsgeduld wiederholte Michilino diese daraufhin.
    »Warum willst du das wissen?«
    »Weil es mich interessiert.«
    Der Geistliche dachte eine Weile darüber nach.
      »Je nachdem«, sagte er. »Es ist immer besser, sich nicht hinter der Anonymität zu verstecken, doch wenn die Absicht des Schreibers die ist, eine Wirkung zu erzielen, ein erlaubtes, ehrliches, gutes Ergebnis zu erhalten, dann ist es keine Sünde.«
      Genau das wollte er wissen. Und welches Ergebnis wäre erlaubter, als den Dämon zu verjagen. Er betete die Bußgebete, und dann lief er und warf sich dem Gekreuzigten zu Füßen.
      »Danke, lieber Herr Jesus, danke, daß du mir den rechten Gedanken für den Brief eingegeben hast. Wenn du auch weiterhin meinen Kopf führst, verspreche ich dir, daß ich diesen Teufel Marietta von Papà aus dem Haus werfen lasse.«
      Auf dem Weg nach Hause traf er auf den Postboten, der ihn von Geburt an kannte. Er händigte ihm drei Briefe aus und die beiden Zeitungen, die Papà abonniert hatte, Il Popolo d'Italia und Il Giornale di Sicilia. Einer der drei Briefe war der anonyme. Er legte die Post auf Papàs Schreibtisch und machte sich dann an die Hausaufgaben, während Marietta einkaufen war. Zur Essenszeit kam Papà zufrieden wieder, ging in sein Arbeitszimmer und kam nach einer Weile mit finsterem Gesichtsausdruck wieder heraus. Er war dermaßen still beim Essen, daß Marietta ihn fragte: »Giugiù, was ist denn?«
    »Ich habe einen anonymen Brief erhalten.«
    »Schon wieder einen?« rutschte es Marietta heraus.
    Mit einem wütenden Blick brachte Papà sie zum Schweigen.
    »Was steht denn drin?« fragte Michilino.
      Papà zog ihn aus der Tasche und holte das Blatt aus dem Umschlag.
      »Tja! Wie merkwürdig der geschrieben ist!« wunderte sich Marietta.
      »Du hast dir den Teufel ins Haus geholt«, las Papà. Dann sagte er: »Aber was soll das verwichst noch mal bedeuten?«
      Papà nutzte Mamàs Abwesenheit aus, schlimme Wörter zu gebrauchen. Marietta öffnete ihren Mund nicht, Michilino genausowenig. Sie aßen schließlich stumm zu Ende. Im Augenblick, als Papà den Brief wieder in seine Jacke steckte, redete Marietta.
    »Die Adresse auf dem Umschlag überzeugt mich

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