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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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nicht sehen konnte, was davor war. Von Marietta sah man hingegen die untere Hälfte des Körpers, aber nicht den Kopf. Sie kniete zwischen Papàs Schenkeln. Der nahm irgendwann Mariettas Kopf in seine Hände und hob ihn hoch, um ihn anzuschauen.
    So konnte Michilino sie sehen. Ihre Haare waren zerwühlt, ihr Blick von bösartigem Irrsinn, wie in dem Moment, als sie ihn mit der Mussolini-Rede aufgeweckt hatte.
      »Sind wir auch ganz sicher, daß Michilino schläft?« fragte Papà.
      »Ich hab ihm dreißig Tropfen von der Arznei gegeben, statt zehn.«
    »Wird das auch keinen Schaden anrichten?«
      »Ach i wo! Der Apotheker hat mir erklärt, daß dreißig Tropfen ganz sicher schlafen lassen, aber diese Dosis nicht überschritten werden dürfte, weil das sonst schädlich wäre.«
      Ohne weiter noch etwas zu sagen, ließ Papà es geschehen, daß Mariettas Kopf zwischen seinen Beinen verschwand. Michilino erschrak und war wie gelähmt. Marietta hatte ihn in einen tiefen Schlaf versenkt! Marietta hatte ihm mehr Tropfen gegeben, um ihn im Schlaf zu halten, damit sie endlich mit Papà tun konnte, was ihr paßte! Dann gelang es ihm, sich zu bewegen und zu seiner Kammer zu laufen. An der Tür verhedderte sich der Ärmel des Nachthemds mit dem Türgriff, er zog, und der Ärmel zerriß. Er legte sich hin. Er steckte seinen Kopf unters Kissen und schlief auf der Stelle ein.
      Das war der Traum, den er gehabt hatte. Er stand auf und ging in die Küche. Marietta war nicht da, sie war früh weggegangen, hatte ihm aber Milch mit Kaffee bereitet, die noch warm war. Er setzte sich an den Tisch im Eßzimmer.
      Gerade wollte er die große Tasse an den Mund heben, da merkte er, daß der Ärmel seines Nachthemds zerrissen war.
    Er erstarrte. Er hatte gar nicht geträumt! Es entsprach alles der
    Wahrheit. Vielleicht hatte er ja einen Anfall von Schlafwandlertum. Und wenn Marietta ihn mit großen Mengen Schlafmitteln ruhigstellte, konnte es auch sein, daß die Kaffeemilch, die sie für ihn bereitet hatte, vergiftet war. Er kehrte in die Küche zurück, leerte die große Tasse ins Spülbecken und sättigte sich mit einem Stückchen trockenen Brotes. Sie beide setzten sich zu Tisch, denn Papà hatte gesagt, er würde zum Essen nicht nach Hause kommen. Gerade wollte Michilino die erste Gabel Pasta in den Mund führen, als er plötzlich innehielt. Die Hand blieb in der Luft stehen. Und was, wenn die da Tag für Tag das Essen vergiftete, die Pasta, das Fleisch, den Fisch? Marietta dagegen aß die Pasta mit Herzenslust. Aber das bedeutete gar nichts, die Cousine konnte das Gift, eben weil sie der Teufel war, im Blut haben, eine ganz natürliche Sache, weshalb jede Art von Gift für sie zu erfrischendem Wasser wurde. Nein, besser war's, auf der Hut zu sein. Er legte die Gabel hin, schob den Teller von sich, schnitt sich eine Scheibe Brot aus dem Knetkasten ab. Marietta, die keinen Mucks von sich gab, griff, nachdem sie ihre Portion aufgegessen hatte, entschlossen nach Michilinos Teller und schaufelte die Pasta in sich hinein. Sie fraß wie ein Schwein. Und das war nur logisch, denn oft taten Teufel tierische Dinge. Er rührte auch das Hauptgericht nicht an, das verschlang ganz allein die Teufelin. Aber weil er einen so gewaltigen Hunger hatte, daß er kaum noch sehen konnte, ging er, bevor er sich zum Unterricht aufmachte, zu dem Neapolitaner, kaufte ein Brötchen, ließ es aufschneiden, zwei Scheiben Mortadella hineinlegen und aß es auf dem Weg.
      Am Ende des Unterrichts fiel ihm ein, daß er eine Waffe brauchte, weil er doch das Taschenmesser weggeworfen hatte, und der Teufel im Haus war ja zu allem fähig, weshalb er sich vor die Notwendigkeit gestellt sah, sich zu schützen. Er öffnete das Türchen, nahm die Muskete, die nicht das Bereitschaftsgewehr war, sondern die mit dem angefeilten Bajonett, und kehrte nach Hause zurück.

    Weil er täglich nur ein belegtes Brötchen aß, war Michilino am Ende von zehn Tagen dünner geworden als eine gesalzene Sardine. Als Papà am Abend nach Hause kam, war er viel zu sehr von Marietta in Anspruch genommen, um zu bemerken, daß sein Sohn den Teller nicht anrührte, und Marietta wiederum stellte es so an, daß Papà nichts bemerkte.
      Schwindelgefühle stellten sich bei ihm ein, er begann, merkwürdige Dinge zu sehen. Eines Tages, auf dem Weg zum Unterricht, sah er vor sich Mussolini auf einem Schimmel vorüberreiten. Ein andermal wurde er von Balduzzo aufgehalten, der als

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