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Der zerbrochene Kelch

Der zerbrochene Kelch

Titel: Der zerbrochene Kelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathinka Wantula
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weitergegangen und bei der großen Polygonalmauer angekommen waren.
    Noch ehe Delvaux sie zurückhalten konnte, hatte sie die Heilige Straße verlassen und eilte zu der alten Steinmauer, die die mächtige Tempelterrasse zum Berghang hin abstützte.
    Selig schloss Karen die Augen und ließ ihre Finger über die von der Sonne erwärmten Steine gleiten, als sie plötzlich raue Einkerbungen spürte und die Augen wieder öffnete. Irritiert starrte sie auf einige griechische Buchstaben, die in die Mauersteine eingeritzt waren.
    »Was … was sind das für merkwürdige Inschriften auf den Steinen?«
    »Texte aus dem dritten Jahrhundert über Sklavenbefreiungen, die Ihr Landsmann Carl Otfried Müller entzifferte. Sie kosteten ihn das Leben.«
    Karens Hand zuckte sofort zurück. »Warum? Was ist geschehen?«
    »Nichts Dramatisches. Er hat bei der Entzifferung zu lange ohne Kopfbedeckung in der Sonne gearbeitet, bekam einen Sonnenstich, Fieber, fiel ins Koma und starb kurze Zeit später in Athen. Es zeigt eben, dass ein Delphi-Besuch auch mal tödlich enden kann. Und dass man bei der Arbeit lieber einen Hut tragen oder im Schatten bleiben sollte.«
    Er deutete auf ein kleines Zelt einige Meter links von der Heiligen Straße entfernt, dessen Wände aus Plastik-plane hochgebunden waren, damit die Archäologen und Helfer von allen Seiten an den großen Tisch in der Mitte gelangen konnten, auf dem mehrere flache Holzkästen standen. Ein einfaches Seil trennte das Zelt vom Weg für die Touristen, die trotzdem von weitem einen Blick auf die Arbeit der Archäologen werfen konnten. Prof. Hillairet war im Moment nicht zu sehen, aber einer der griechischen Hilfsarbeiter war dabei, mit einem Pinsel Sand-brocken von einer kleinen Amphore zu entfernen.
    »Sei vorsichtig, Spyros«, rief Delvaux ihm fröhlich zu. »Mach mir nicht so viel Arbeit, und lass die Amphore diesmal bitte heil.«
    »Natürlich.« Der Grieche nickte Karen freundlich zu. »Können Sie vielleicht für einen Augenblick herkommen, Simon? Mir ist etwas aufgefallen, das ich Ihnen gern zeigen möchte.«
    Delvaux drehte sich zu Karen um. »Entschuldigen Sie mich bitte für einen kurzen Augenblick.«
    »Ja, natürlich. Kein Problem.«
    Delvaux erklomm die leichte Steigung zum Arbeitszelt und stellte sich neben den Griechen, der eine Scherbe aus einem Karton holte und sie ihm zeigte. Delvaux nahm sie in die Hand und sah sie von allen Seiten an, ehe er Spyros auf einige charakteristische Details der Scherbe aufmerksam machte und sie ihm zurückgab.
    Währenddessen ging Karen einige Schritte weiter, drehte sich dann um und betrachtete noch einmal fasziniert die große Polygonalmauer und die hohen Säulen des Apollon-Tempels. Danach wanderten ihre Augen weiter zum Altar der Chioter und zum Ausgrabungszelt, in dem Delvaux nun nicht mehr neben Spyros stand, sondern sich ein paar Meter entfernt hatte. Anscheinend führte er ein Telefonat, denn er hielt sich ein kleines schwarzes Handy ans linke Ohr und sprach mit sehr konzentriertem Gesicht.
    Karen drehte sich erneut um und erblickte Nikos am westlichen Ende der Umfassungsmauer des Heiligen Bezirks, und auch er telefonierte mit einem mobilen Telefon. Ob er und Simon miteinander redeten? Vielleicht hatten sie ein gemeinsames Geheimnis vor ihr, über das sie in diesem Augenblick unbedingt sprechen mussten?
    Blödsinn, dachte sie und schüttelte den Kopf, da ihre Gedanken ihr einen bösen Streich zu spielen schienen.
    Doch in Wirklichkeit wäre sie wohl äußerst beunruhigt gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass einer der beiden Männer gerade nach Athen telefonierte und dass ihr Name auch in dem Telefonat genannt wurde …

14
    Im Athener Plaza Hotel stellte Myles Fenton lässig ein Bein auf eine niedrige Fensterbank und nahm eine Zigarette aus einem goldenen Etui und ein goldenes Feuerzeug zur Hand, auf denen jeweils ein kleines Wappen mit Krone prangte. Seine handgefertigten John-Lobb-Schuhe glänzten, vom Hotelpersonal perfekt geputzt, in der Mittagssonne, während er sich die Zigarette anzündete und den Rauch nach einem tiefen Zug durch das geöffnete Fenster in den Athener Smog hinausblies.
    Hinter ihm stand Jarvis Rigby, einer seiner zuverlässigsten Männer, den er schon nach Athen vorausgeschickt hatte, damit er die wichtigsten Vorkehrungen in die Wege leitete. Rigby war Mitte vierzig, mit bereits gelichtetem dünnem Haar. Seine Augen waren auf seinen Chef am Fenster gerichtet, während er mit immer lauter werdender Stimme ins

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