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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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sind auch alle seine Haussklaven und wahrscheinlich einige Köche und ein paar Raufbolde, die er auf dem Marktplatz angeheuert hat. Ich fühlte mich gefangen wie ein Grashüpfer in einem Krug. Selbst Demosthenes hätte Schwierigkeiten gehabt, aus dieser Klemme herauszukommen.
    Auf unserer Seite der Mauer war das Geräusch herabfallenden Schutts zu hören, und ein Lichtstrahl der frühen Morgensonne fiel in den Raum, zwar nur sehr schwach, aber ausreichend, um mich zu blenden. Mein Mund war trocken, und mir schien jeder einzelne Muskel im Körper weh zu tun. Das Hämmern nahm zu, ganze Ziegelsteine fielen jetzt in den Raum, und ich erinnere mich an den Gedanken, daß, wer auch immer Philonides’ Haus gebaut hatte, er ganz schön schlechte Arbeit geleistet hatte. Das Hämmern setzte aus und mit ihm mein Herz.
    »Meister, ich kann den Kopf durch das Loch stecken«, flüsterte eine Stimme hinter der Mauer.
    »Mach weiter, du Narr!« Das war unverkennbar Aristophanes. »Schließlich haben wir nicht die ganze Nacht.«
    »Meister«, flüsterte die Stimme erneut, »aber was ist, wenn da jemand drin ist? Ich meine…«
    »Philonides ist in Eupolis’ Haus«, entgegnete Aristophanes. »Mein Mann hat ihn hineingehen sehen, wahrscheinlich nehmen sie in letzter Minute Änderungen an dem Stück vor. Und seine Frau schickt er während der Festspiele immer aufs Land. Können wir jetzt endlich weitermachen?«
    Das schien die Stimme zufriedenzustellen, denn das Hämmern begann von neuem, und weitere Ziegel plumpsten herein, bis ich einen fast mannsgroßen dunkelblauen Lichtfleck erkannte, wo vorher nur Dunkelheit gewesen war. Ich gelobte, Dionysos und Ares dem Beutetreiber je ein Erstlingslamm zu opfern, und wartete. Es herrschte Stille, dann gab es ein raschelndes Geräusch, und das blaue Licht wurde durch bewegte Schatten verdunkelt.
    Nun hob Philonides die Kanne von der Lampe und brüllte aus vollem Hals Io Paianl, und da stand Aristophanes starr wie eine Statue im Licht der Lampe. In den Händen hielt er eine Brechstange und einen Hammer zum Behauen von Felsgestein, und wie bei einem Steinmetz war auch sein Chiton über die Schultern geschlagen. In seiner Begleitung befanden sich vier Männer, die allesamt genauso gekleidet und ausgerüstet waren wie er. Der Kopf eines sechsten Manns, der gerade durch das Loch in der Wand hindurchlugte, wurde hastig zurückgezogen und ward nie wieder gesehen.
    Ich holte zu einem furchtbaren Schlag gegen den Mann aus, der mir am nächsten stand, verfehlte ihn jedoch knapp und zerlegte dabei eine Terrakottastatue der auf dem Stier reitenden Europa in ihre Bestandteile, die, wie mir Philonides später erzählte, seinem Großvater gehört hatte. Aber der kleine Zeus ging direkt auf Aristophanes los, packte ihn wie ein Ringer um die Taille und hob ihn so weit hoch, daß der Kopf des Gegners geräuschvoll gegen die Dachsparren knallte. Währenddessen schlugen Philonides und seine Männer mit Knüppeln auf die anderen ein, wobei sie hin und wieder auch jemanden trafen. Der eigentliche Kampf war enttäuschend schnell vorbei, und als ich meinen Knüppel vom Boden aufhob, war für mich niemand mehr übrig, den ich damit hätte prügeln können.
    Philonides und seine Männer hatten ihre vier Gefangenen zu Boden geworfen und fesselten sie nun mit Tüchern und Binsen, während der kleine Zeus unter Anwendung von grober Gewalt Aristophanes zu mir herumdrehte. Im Verlauf unserer langwierigen Wache hatte ich sogar eine kleine Rede vorbereitet, falls sich eine solche Gelegenheit tatsächlich ergeben sollte.
    ›Aristophanes, Sohn des Philippos‹, wollte ich sagen, ›was du heute nacht hier getan hast, ist ein Verbrechen, und das nicht nur gegen die Gesetze Athens, sondern auch gegen unseren Schutzgott Dionysos selbst. Eins seiner Stücke zu sabotieren, ist für einen freien Mann und Bürger keine bessere Tat, als seinen Tempel anzuzünden oder seine Priester zu berauben. Doch Dionysos ist ein barmherziger Gott, und deshalb werde ich deine Bestrafung seinen Händen überlassen. Es steht dir frei zu gehen, Sohn des Philippos, allerdings nur unter den folgenden Bedingungen: Erstens behebst du alle Schäden, die du hier verursacht hast, und stellst eine Bronzestatue von Dionysos dem Freudenbringer in einen Schrein nach Philonides’ Wahl. Zweitens hörst du endlich damit auf, den Gott weiterhin mit deinen miserabel geschriebenen Stücken zu quälen, und lebst fortan still auf deinen äginetischen Besitzungen, ohne

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