Der Ziegenchor
zufällig auf der Straße vorbeigekommen war und den wir als unbeeinflußten Zeugen zu diesem Dienst genötigt hatten. Außer dem Zeugen trugen wir alle unsere Helme und Brustpanzer, und wir hatten schwere Knüppel aus Olivenbaumholz dabei, die wir eiligst aus Weinpfählen geschnitten hatten.
»Natürlich könnte es sich bei der ganzen Geschichte auch um einen raffinierten Trick handeln«, sagte der kleine Zeus (unter dessen Vorfahren ein berühmter Heerführer gewesen war).
»Raffiniert? Na, ich weiß nicht«, widersprach Philonides. »Eher schmutzig.«
»Nein, du verstehst mich nicht«, fuhr der kleine Zeus fort. »Es könnte sich um eine Falschmeldung handeln, um ein Ablenkungsmanöver, wie mit der Geschichte von Themistokles bei Salamis. Vielleicht will Aristophanes, daß wir hier sind, damit er am anderen Ende der Stadt etwas ganz anderes treiben kann. Zum Beispiel könnte er in genau diesem Moment unseren Chorführer vergiften.«
Philonides befahl ihm, still zu sein, doch machte ich mir allmählich ernsthafte Sorgen, und ohne es zu merken, schälte ich mit den Fingernägeln die ganze Baumrinde vom Stiel meines Knüppels ab. Die Wirkung des starken Weins, den wir zuvor alle in meinem Haus getrunken hatten, verflog langsam, genau wie der gerechte Zorn. Was blieb, war hauptsächlich Angst, verbunden mit einem Gefühl, daß ich eigentlich nicht dort sein sollte. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, Kallikrates und Philodemos von jemandem rufen zu lassen, aber dafür war die Zeit zu knapp gewesen. Und ich war sicher, daß Philonides und mir jemand auf dem Rückweg zu meinem Haus gefolgt war, nachdem ich ihn gefunden hatte.
»Vielleicht kommt er ja gar nicht«, sagte einer der Schauspieler. »Wir sind jetzt schon etliche Stunden hier, und ich muß dringend pinkeln. Bekommen wir das hier bezahlt?«
»Du bekommst meinen Handrücken zu spüren, wenn du die Klappe nicht hältst!« zischte Philonides ihn an.
»Und würdet ihr jetzt alle endlich aufhören, wie ein Haufen Vögel zu schnattern?« schimpfte ich in die Runde. »Schließlich soll das hier ein Hinterhalt sein.«
Zumindest hielt mich die Sorge über den Überfall von zuviel Sorgen über mein Stück ab, obwohl mir auf einmal eingefallen war, daß wir nicht dazu gekommen waren, die verpatzten Zäsuren in Ordnung zu bringen. Trotzdem, so spürte ich, wäre dies wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt für eine umfangreiche Neufassung, obwohl wir alle Schauspieler dabei hatten.
Dann sah ich Philonides plötzlich den Kopf hochstrecken, und als ich unmittelbar darauf das Geräusch einer gegen die Mauersteine stoßenden Brechstange hörte, stülpte er vorsichtig eine Kanne über die Lampe. In der absoluten Dunkelheit schien das Geräusch der Brechstange den ganzen Raum zu erfüllen, und ich ließ mir sämtliche Gefechte auf engem Raum durch den Kopf gehen, an die ich mich erinnern konnte – wie in den Thermopylen und natürlich auch in Pylos. Je länger ich darüber nachdachte, desto unbehaglicher fühlte ich mich, denn bei jeder dieser Kampfhandlungen, die ich mir ins Gedächtnis rief, hatten die Angreifer schließlich die Oberhand gewonnen. Natürlich hatten wir keine Ahnung, wie viele Männer Aristophanes mitgebracht hatte; vielleicht stand da draußen sein ganzer Chor, mit Schwertern und feuchtem Laub, um Rauch zu erzeugen. Mit der schweren Fußtruppe sah es bei uns gut aus, aber wo waren unsere Schleuderer und Bogenschützen? Außerdem hatten wir vergessen, die Tür von außen zu verriegeln; Aristophanes konnte also nicht mit einem leeren Haus rechnen – was, wenn er eine Abteilung seiner Streitkräfte zur Vorderseite des Hauses schicken würde, um sich uns von beiden Seiten zu bemächtigen, wie es Xerxes in den Thermopylen getan hatte? Und obwohl wir mit Knüppeln bewaffnet waren, hatten sie offenbar schwere eiserne Brechstangen dabei, und keiner von uns hatte daran gedacht, seinen Schild mitzunehmen. Wenn doch nur Kallikrates bei uns wäre! Wenn doch nur Kallikrates hier wäre und ich irgendwo anders!
Dann ermahnte mich meine innere Stimme, Ruhe zu bewahren und im entscheidenden Moment tapfer zu kämpfen, und ich umfaßte den Stiel des Knüppels so fest, daß dabei die Haut unter meinem Siegelring zusammengequetscht wurde, was schmerzhaft wie ein Säbelhieb zu sein schien. Das Geräusch von Brechstangen wurde mit jedem Herzschlag lauter, und ich war mir sicher, Stimmen zu hören, viele Stimmen. Das ist nicht nur sein Chor, sagte ich mir, sondern das
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