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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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werden, aber ich hoffe, sie werfen wenigstens nicht mit Steinen nach dir. Ich habe es nämlich gründlich satt, daß du blutüberströmt ins Bett kommst.«
    »Glück? Wer braucht das schon?« gab ich selbstherrlich zur Antwort. Dann schwang ich mir den Umhang wie ein Rittmeister bei den Panathenäen um die Schultern und wollte ihr einen flüchtigen Kuß auf den Mund drücken, verfehlte dabei aber ihre Lippen und kam statt dessen mit ihrer Nase in Berührung. Sie nannte mich daraufhin einen tolpatschigen Narren und kicherte vor Vergnügen.
    »Wenn du mich das nächstemal siehst«, sagte ich im Türrahmen, wobei ich mich wie eine Statue in Pose warf, »werde ich bereits der größte Dichter in ganz Athen sein, und dann wird dir alles noch schrecklich leid tun.«
    »Im Moment bin ich jedenfalls nicht sonderlich verzückt«, erwiderte sie lächelnd.
    »Ich werde wie König Leonidas höchstpersönlich zurückkehren, mit meiner Harfe oder sogar darauf«, entgegnete ich. Dann trat ich erhaben aus der Tür hinaus, tat so, als würde ich über mein neues Gewand stolpern, und winkte noch zum Abschied zurück.
    »Habe ich denn eine andere Wahl?« rief mir Phaidra hinterher.
    Während ich die Straße hinunterrauschte, drückte ich den Kragen meines Chitons gegen die Wange und fühlte mich, wie sich Achilles gefühlt haben muß, als er in der Rüstung, die der Gott des Feuers höchstpersönlich für ihn geschmiedet hatte, das erstemal in den Kampf zog. Oder vielleicht fühlte ich mich eher wie Hektor, als er an jenem Tag aufbrach, an dem ihm Zeus so lange anhaltenden Erfolg versprach, wie das Tageslicht dauerte. Denn obwohl mein Körper in Flammen stand, wo immer er vom Chiton oder Umhang berührt wurde, und desgleichen mein Herz, war meine Seele immer noch so kalt wie Eis.
    Als ich beim Theater ankam, füllte es sich allmählich, und nachdem ich ein Würstchen und ein kleines Brot von einem der fliegenden Händler gekauft hatte, setzte ich mich ans Ende einer der Mittelreihen und blickte mich nach allen Seiten um. Nichts klingt so wie das Theater kurz vorm Beginn des ersten Stücks; wie ein Schwarm wütender Bienen, wenn sie die ersten Rauchzüge aus der Lunge des Bienenzüchters riechen. Irgendwo weit hinten in den allerletzten Reihen sang ein Betrunkener ein Heimatlied, etwas über eine Schwalbe, die die guten Zeiten zurückbringt, und als er fertig war, erhielt er einen kurzen Applaus und sogar einige Beifallsrufe. Das Publikum hatte gute Laune, und ich blickte gen Himmel und dankte allen Göttern.
    Jemand, der gerade über die Bühne ging, winkte mir zu, und ich sah, daß es Phrynichos war, den ich nur vom Sehen her kannte; ein großer Mann mit einem schwarzen Bart und verbundenem linken Arm. Ich winkte zurück, nur für den Fall, daß mich jemand beobachtete, denn ich wollte nicht, daß man von mir als einem nachtragenden Mann sprach. Dann sah ich mich nach einem Omen um; aber am Himmel flogen keine Vögel, weder zur Linken noch zur Rechten. Da die Sonne aber grell schien, gab ich es bald auf und aß mein Würstchen weiter, das grauenhaft schmeckte. Das Brot wollte ich mir bis zum Schluß der ersten Tragödie aufheben.
    Dann sah ich Kallikrates, den kleinen Zeus und meinen Onkel Philodemos die Treppe herunter auf mich zukommen, gab ihnen aber durch Handzeichen zu verstehen, woanders Platz zu nehmen, weil ich lieber zwischen Fremden sitzen wollte. Philodemos schien anfangs beleidigt zu sein, aber nachdem Kallikrates ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte, nickte er verständig, und die drei setzten sich direkt dorthin, wo sie gerade standen. Zwar hörte ich den kleinen Zeus etwas mit seiner lauten und sonoren Stimme sagen, allerdings gelang es mir nicht, die Wörter zu verstehen. Jedenfalls hoffte ich, daß er für mich betete.
    Kurz darauf sah ich etwa zwei, drei Reihen unter mir einen Kahlkopf vorbeigehen, der eine übel aussehende Rißwunde auf der Glatze hatte, und ich konnte nicht widerstehen, ihm etwas zuzurufen.
    Aristophanes blieb kurz stehen, schickte seine Freunde voraus, um ihm ein paar Reihen weiter einen Platz freizuhalten, und blickte, grinsend wie ein Affe, zu mir hoch. »Hallo!« rief er. »Und wie geht es heute morgen unserem Krüppel mit dem ekligen Ausschlag?«
    »Könnte nicht besser sein«, antwortete ich. »Und wie geht es unserem Zwei-Obolen-Odysseus nach seinem verpatzten Versuch, das Palladion zu stehlen?«
    Sein Grinsen wurde breiter, bis ich glaubte, sein Gesicht werde zerplatzen. »Dies ist ein ganz

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