Der Ziegenchor
unbeirrt nach.
»Da das Thema nie zur Sprache gekommen ist, nein«, lautete meine glänzende Antwort.
»Daß das Thema nie zur Sprache gekommen ist«, fuhr mein Onkel verzweifelt fort, »beweist nur, daß du ein noch größerer Narr bist, als ich gedacht habe.«
Jetzt entschloß ich mich zum Angriff. »Also schön, was ist denn deiner Meinung nach der Grund? Wie ich schon gesagt habe, ist sie hübsch und gebildet, die Mitgift ist phantastisch, und ich bin mir absolut sicher, daß sie keine Mißbildungen oder Krankheiten hat. Da bleibt nicht mehr viel übrig, findest du nicht?«
Philodemos schüttelte den Kopf. »Das weiß weder ich noch sonst jemand«, erwiderte er. »Aber alle Leute, die ich kenne, gehören zur Klasse der Fußsoldaten, die verkehren nicht in Reiterkreisen. Und Kallikrates sagt, er glaube, daß seine Freunde vom Heer zwar etwas wüßten, aber nichts verraten wollen.«
»Also hast du dich nach ihr erkundigt?« fragte ich wütend.
»Natürlich habe ich das getan«, bestätigte Philodemos. »Es ist meine Pflicht, Erkundigungen einzuholen, oder warum werden deiner Meinung nach Heiraten sonst auf diese Weise geregelt? Das macht man so, damit Dummköpfe wie du, die zudem Tomaten auf den Augen haben, nicht als Bräutigam von Mädchen enden, die womöglich nur ein Bein oder thrakische Großmütter haben.«
Jetzt entschied ich mich, mich einsichtig zu geben. »Hör mal«, begann ich ruhig, »ich weiß, du tust nur das, was du für mich am besten hältst, und das weiß ich durchaus zu schätzen, wirklich. Aber mit Phaidra ist alles in Ordnung, das kann ich beschwören.«
»Warum fragst du dann nicht einige deiner neuen Freunde aus der Reiterklasse, von denen wir hier im Haus immer soviel hören, und erkundigst dich bei ihnen, ob sie etwas wissen?« fragte Philodemos.
Das brachte mich fast zu Weißglut. »Ach! Also darum geht es dir also, ja?« schrie ich ihn an. »Du meinst, ich sollte lieber ein Mädchen aus der Klasse der Fußsoldaten mit Schwielen an den Händen und ein paar Ziegen auf dem Parnesgebirge heiraten, richtig? Wahrscheinlich hast du sogar schon eine im Auge, bei der für dich eine nette kleine Provision von ihrem dankbaren Vater abfällt, was?«
Einen Augenblick lang dachte ich, Philodemos wolle mich schlagen, und ich wich zurück. Er bekam ein feuerrotes Gesicht und ergriff seinen Wanderstab; mit sichtlicher Mühe beruhigte er sich dann wieder und wurde eiskalt.
»Wenn du das so siehst, werde ich die Verhandlung zu den angebotenen Bedingungen abschließen, und dann kannst du von mir aus vor die Hunde gehen«, fluchte er. »Und ich hoffe, bei deiner verdammten Phaidra stellt sich heraus, daß sie Klumpfüße und die Lepra hat.«
Ich versuchte noch, mich zu entschuldigen, aber mein Onkel war zu beleidigt. Also verabschiedete ich mich nur und ging. Auf dem Weg zum Marktplatz dachte ich darüber nach, was mein Onkel gesagt hatte, und mir fiel ein, daß der einzige Bekannte, der möglicherweise etwas über Phaidra wußte, Aristophanes war. Hatte er nicht in der Nacht mit den Serenadensängern etwas von ihren ›Angewohnheiten‹ gesagt? Aber wie konnte ich ihn um Hilfe bitten, nachdem ich ihn vor seinen Gästen lächerlich gemacht hatte? Stimmt, ich hatte mich sozusagen nur im voraus für das gerächt, was er mit mir vorgehabt hatte; allerdings bezweifelte ich, daß er das genauso gesehen hätte. Und dann kam mir ein furchtbarer Gedanke. Was, wenn mich Theoros, der einen Groll gegen ihn hegte, über Aristophanes’ Motiv, mich einzuladen, belogen hatte? Was, wenn mich Aristophanes zu sich gebeten hatte, damit ich den Chorleiter Philonides und alle die anderen wichtigen Persönlichkeiten kennenlernen konnte? Das Blut schien mir in den Adern zu gerinnen. Angenommen, der große Komödiendichter hatte mir wie ein Künstler dem anderen die Hand zur Freundschaft gereicht, und als Dank dafür hatte ich ihm seine Siegesfeier verdorben? Je genauer ich darüber nachdachte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß Theoros gelogen hatte – schließlich gehörte er nicht zu der Sorte Mensch, der man glauben würde, nur weil sie einen namentlich kennt – und mir der schlimmste Fehler aller Zeiten unterlaufen war.
Während ich mich mit einem Gefühl, als hätte ich soeben meinen Gastgeber umgebracht, zwischen den Sardellenständen hindurchzwängte, mit wem anders mußte ich da zusammenstoßen als mit Aristophanes selbst? Er stritt sich gerade hitzig mit einem Fischhändler über einen Aal, den
Weitere Kostenlose Bücher