Der Ziegenchor
war, was ich für meine Komödie so dringend benötigte. Eine Zeitlang stand der Ausgang auf Messers Schneide, da Euripides sehr schnell sprechen konnte. Schließlich ermüdete er jedoch, und Sokrates schaffte es, die Zügel in die Hand zu nehmen.
»Ich habe schon begriffen, Euripides«, sagte er, während er unfair einen Hustenanfall seines Gegners ausnutzte, »aber ich bin mir immer noch nicht sicher, was du mit pflegen meinst.«
»Also…«
»Ich nehme an«, fuhr Sokrates munter fort, »du meinst ›die Pflege der Götter‹ nicht so, wie wir den Ausdruck benutzen… Also, um irgendein beliebiges Beispiel zu nennen, wir sagen, daß niemand besser weiß, wie man Pferde pflegt, als deren Ausbilder, stimmt’s?«
»Ja sicher, aber…«
»Weil die Ausbildung der Pferde nichts anderes ist, als die Pferde zu pflegen, richtig?«
»Ja, aber…«
»Und genauso weiß niemand besser, wie man Hunde pflegt, als der…«
»Ganz recht, aber…«
»…als der Hundeausbilder, nicht wahr?« fuhr Sokrates mit ein wenig lauterer Stimme fort.
»Ganz genau, aber…«
»Und Rinderzucht ist dann das Pflegen von Rindern?«
»Zweifellos. Aber…«
»Dann muß Frömmigkeit die Pflege der Götter sein, nicht wahr, Euripides? Ist es das, worauf du hinauswolltest?«
»Also…«
Sokrates lächelte und fuhr fort: »Ja, natürlich. Aber sind die Auswirkungen des Pflegens nicht immer die gleichen?«
Es trat eine Pause ein, da Euripides mittlerweile den Faden völlig verloren hatte. »Ja«, stimmte er schließlich überdrüssig zu, »aber…«
»Damit meine ich, daß es für das zu pflegende Geschöpf von Vorteil ist, so daß die Pferde, um dein Beispiel aufzugreifen, von der Pferdeausbildung profitieren.«
»Eigentlich war das dein Beispiel…«
»Und genauso, vermute ich, verhält es sich mit Hunden und Hundeausbildung, Rindern und Rinderzucht und so weiter.«
»Aber…«
»Oder glaubst du«, fragte Sokrates und zog die gewaltigen Brauen zusammen, »daß die Pflege von irgend etwas darauf abzielt, dem zu pflegenden Geschöpf zu schaden?«
»Natürlich nicht«, antwortete Euripides. »Aber…«
»Es zielt also auf seinen Vorteil ab?«
»Ja, ja, na klar! Was…«
»Wenn nun Frömmigkeit die Pflege der Götter ist, wie du gesagt hast, ist sie dann für die Götter von Vorteil?« Eine kleine Geste, ein Achselzucken, ein Hochziehen einer Braue. »Hilft es ihnen in irgendeiner Weise, bessere Götter oder irgendwie gottähnlicher zu werden?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Aber…«
»Ich hatte auch nicht gedacht, daß du das meinst, Euripides«, antwortete Sokrates und lehnte sich auf der Liege zurück. »Also, was wolltest du sagen?«
Natürlich war Euripides zu diesem Zeitpunkt völlig entfallen, was er eigentlich hatte sagen wollen, und er saß nun einfach mit offenem Mund da. Bevor er seine Gedanken wieder ordnen konnte, fing Sokrates erneut an und hatte ihn bald tief in eine Diskussion über die Bedeutung des Wortes ›Dienst‹ verwickelt, bis Aristophanes auf den Tisch klopfte und die Ordnung wiederherstellte.
Dann wurde das Verhältnis von Wein zu Wasser abermals erhöht, und das Gespräch wandte sich der Dichtung zu, vor allem der komischen Dichtung unter besonderer Berücksichtigung der herausragenden Stellung des Stückes Die Acharner. Das dauerte, wie Sie sich vorstellen können, eine ganze Zeit; Euripides bemühte sich sehr, ein paar höfliche Bemerkungen zu dem umfassenden persönlichen Angriff auf seine Person in dem Stück zu machen, und Philonides, der Chorleiter, erzählte eine lange und witzlose Anekdote über ein Chormitglied, das immer das linke Bein hochwarf, obwohl das rechte dran gewesen wäre. Die ganze Unterhaltung – selbst die langweilige Anekdote – war für mich äußerst spannend, und ich glaube, Aristophanes mußte gemerkt haben, wie gefesselt ich war, denn er schickte seinen Dienstboten mit dem Wein zu mir herüber und sagte in die Runde: »Unser Freund Eupolis hier will Komödiendichter werden.« Er fügte zwar nicht hinzu, ›wenn er mal groß ist‹, aber das wollte er sicherlich andeuten. »Ich finde, wir sollten eine kleine Kostprobe aus seinem Stück Die Verführer oder wie das Ding heißt hören.«
Theoros stieß mir mit dem Ellbogen in die Rippen, und plötzlich hatte ich eine Idee.
»Nein, kommt nicht in Frage«, erwiderte ich leicht nuschelnd. »Es wäre mir peinlich, diesen alten Schund von mir unter dem Dach eines so großen Meisters wiederholen zu müssen. Könnte ich
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