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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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uns versicherten) sehr hübsche Mädchen seien. Wir marschierten weiter, bis wir zu einem größeren Dorf gelangten – ich glaube, es hieß Astypylaia –, wo wir die ersten Steuerzahlungen einholen sollten.
    Wie in jedem anderen Gebirgsdorf gab es auch in Astypylaia unregelmäßig verteilte Häusergruppen, einen kleinen strohgedeckten Tempel und einen mit verwitterten Grenzsteinen umsäumten Marktplatz; es hätte irgendwo auf dem Berg bei Pallene oder draußen in Richtung des Hinterlands von Phyle liegen können. Es gab etwas mehr Schafe und ein bißchen weniger Ziegen, als wir es von Attika her gewohnt sind, und einige Menschen sahen nicht sehr griechisch aus, was meine Kameraden auf die Vermischung mit den Persern zurückführten, als Samos noch Teil der persischen Statthalterschaft in Ionien gewesen war. Doch obwohl sie nicht gerade freundlich waren, warfen sie immerhin keine Steine nach uns, und auf der Hauptstraße befand sich auch keine Mauer aus Schilden, wie einige von uns erwartet hatten. Statt dessen war ein alter Mann da, den wir für den Dorfsprecher hielten, und zwei gelangweilt aussehende Jungen von etwa fünfzehn Jahren, die ein paar sehr magere Schafe an kurzen Zügeln hielten. Diese Schafe waren anscheinend ein Geschenk für die geliebten athenischen Gäste, von Polychresos eigenhändig zur Zierde unserer Tische beim gemeinsamen Mahl ausgewählt. Unser Taxiarchos gab würdevoll unseren Dank zu verstehen und zog taktvolle Erkundigungen über das Steuergeld ein.
    Bei dieser Frage blickte der alte Mann sehr traurig drein, als hätten wir ihn an etwas erinnert, das er verzweifelt zu verdrängen versucht hatte.
    »Athenische Brüder! Zu unserer ewigen Schande muß ich gestehen, daß wir das Tributgeld nicht mehr haben«, erklärte er. »Ich sage ›nicht mehr‹, denn wärt ihr gestern zu dieser Zeit hiergewesen, hätte es kein Problem gegeben. Aber« – er neigte den Kopf –, »verehrte Freunde, diese Berge sind wild und gesetzlos, und dort oben« – er fuchtelte mit dem Stock unbestimmt in Richtung der umliegenden Felsen – »lebt eine Bande wilder und niederträchtiger Männer, Oligarchen, die geächtet wurden, als sie vor zwei Jahren versuchten, nachts den Tempel der Hera zu erobern. Heute morgen ist bei mir eingebrochen und der gesamte Tribut gestohlen worden – zehn Minen zu je hundert Drachmen aus feinstem Silber, genau wie ihr befohlen hattet. Mein Sohn Kleagenes hier«, sagte er und schubste einen der Jungen, der verlegen auf seine Sandalenriemen starrte, »hat versucht, Widerstand zu leisten, und schaut euch an, was sie ihm angetan haben!« Der alte Mann deutete nachdrücklich auf einen winzigen Kratzer direkt über dem linken Auge des Jungen. »Wir sind arme Menschen«, fuhr er fort. »Wir haben unser ganzes Silber verbraucht, um das Gewicht von zehn Minen zusammenzubekommen. Wir besitzen nichts mehr, was wir euch geben könnten. Wenn ihr also den Tribut haben wollt, müßt ihr gehen und ihn euch von diesen Dieben und Räubern holen.« Er drohte einem anderen Bereich des Horizonts mit der Faust und stützte sich schwer auf seinen Stock.
    Mehrere meiner Kameraden gaben mißbilligende Laute von sich, aber unser Taxiarchos, der auf diesem Gebiet ein Neuling war, befahl uns, still zu sein, und versicherte dem alten Mann, daß wir noch vor Einbruch der Dunkelheit im Besitz des Silbers wären, wenn er uns einen Führer zur Verfügung stellen würde.
    »Den besten in Astypylaia«, entgegnete der alte Mann. »Meinen Sohn Demetrios hier« – er gab dem zweiten Jungen einen Schubs –, »der kennt nämlich sämtliche Hügel wie eine Bergziege und hat überhaupt keine Angst. Dem könnt ihr bis ans Ende der Welt folgen.«
    Irgendwie hatten wir Soldaten das Gefühl, daß das Ende der Welt unter diesen Umständen wahrscheinlich ein ganz guter Tip war, aber wir hatten Befehl erhalten, still zu sein, und sagten deshalb lieber nichts. Der Taxiarchos rief: »Seid in fünf Minuten zum Abmarsch bereit!« und begab sich in eins der Häuser, um sich kurz über die Räuber informieren zu lassen. Ich schickte den kleinen Zeus los, um frisches Wasser und etwas Brot zu holen, falls es zu bekommen war, und setzte mich auf einen Felsblock, um meinen Füßen eine Ruhepause zu gönnen. Mein Kopf war unter dem Helm triefnaß, und ich wollte allein sein.
    »Das wird bestimmt interessant werden«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich blickte mich um und erkannte Artemidoros, einen der Männer, die schon zuvor auf Samos

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