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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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gewesen waren. Er stammte aus dem gleichen Demos wie ich, und wir hatten uns hin und wieder auf Festspielen gesehen, obwohl ich mich kaum noch an ihn erinnern konnte.
    »Wie gefällt dir denn der Dienst als Soldat, junger Eupolis?« fragte er vergnügt. »Das ist schon etwas anderes als mit Kleon und Alkibiades über den Marktplatz zu stolzieren, nicht wahr?«
    Ich gab irgendeinen schwachsinnigen Witz zum besten, und er lachte laut. »Sehr gut!« grölte er, nachdem es ihm einigermaßen gelungen war, sich wieder zu beherrschen. »Ein Mann mit Humor ist im Krieg stets willkommen. Wie ich annehme, wirst du schon sehr bald selbst dahinterkommen.«
    »Wie soll ich das verstehen?« fragte ich.
    Artemidoros kicherte leise in sich hinein. »Was sich hier gleich abspielen wird, könntest du in eins deiner Stücke einbauen«, schlug er vor, und ihm schien ein Gedanke zu kommen. »Wie war’s, wenn wir alle in deinem nächsten Stück vorkommen? Das wäre doch toll, findest du nicht?«
    »Doch, doch, ganz toll sogar«, entgegnete ich. »Weißt du denn, was hier gleich passieren wird?«
    Er grinste. »Wie ich dir gesagt habe, war ich schon mal hier und kenne diese Ziegenficker besser als die Gedichte von Homer. Was sich hier abspielt, ist folgendes: Oben in den Bergen gibt es diese Räuber, die sie unbedingt loswerden wollen, und sie haben viel zuviel Schiß, um das selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem wollen sie keine Steuern zahlen, was nur recht und billig ist, wenn du mich fragst. Ich bin Demokrat und halte nichts von Steuern. Darüber hinaus wissen diese Leute ganz genau, wie sie mit uns umzugehen haben, die sind doch daran gewöhnt. Sie tischen uns mal wieder einfach diese alte Geschichte über die Räuber auf, und wir steigen artig in die Berge. Dort verlaufen wir uns, um dann zu erfrieren, oder lassen uns von den Räubern umbringen, was den Dorfbewohnern in jedem Fall die Entrichtung der Steuern erspart. Schnappen wir hingegen die Räuber, kommt das den Dorfbewohnern genauso gelegen, denn dann zahlen sie trotzdem keine Steuern, weil sie einfach behaupten, die Räuber hätten das Silber irgendwo versteckt, und sie wüßten leider nicht, wo. Also geben wir auf und ziehen ab, und alle sind glücklich und zufrieden.«
    Ich starrte ihn entsetzt an. »Menschenskinder! Warum erzählst du das nicht dem Taxiarchos? Wir könnten da oben umgebracht werden.«
    Artemidoros schüttelte den Kopf und entgegnete: »Folgendes mußt du über die Armee lernen, mein Sohn: Man geht nicht einfach zu den Vorgesetzten und erzählt denen irgendwas, weil sie einem das erstens nicht glauben, man zweitens dadurch nur unnötig auffällt und es drittens, wenn es nicht hier passiert, irgendwo anders geschieht.«
    »Was soll das heißen?« fragte ich.
    »Das heißt, daß wir hier sind und es nichts gibt, was wir dagegen tun können, und wir deshalb genausogut damit weitermachen können. Wenn man in der Armee ist, versucht man nicht, etwas zu verändern; man wartet so lange ab, bis man nach Hause kommt, und stimmt dann für die Hinrichtung des Heerführers. Das ist Demokratie. Daran wirst du auch nichts ändern.«
    »Aber das ist doch blödsinnig!« platzte ich los. »Bist du dir ganz sicher? Ich meine, ist das nicht nur irgendwelches dummes Geschwätz, wie daß die Frauen auf Andros drei Brüste haben, nur weil Epinikes eine beim Waschen im Fluß beobachtet hat, und…«
    Artemidoros lächelte, wobei er die übriggebliebenen Zähne entblößte, und erwiderte: »Das ist die absolute Wahrheit, durch und durch massiv wie Silber, du könntest es mit einem Meißel behauen. Du meine Güte, schließlich hat mir das mein Bruder Kailides erzählt. Oder willst du ihn etwa einen Lügner nennen?«
    »Nein, nein«, besänftigte ich ihn. »Hör mal, könnten wir gegenüber dem Taxiarchos nicht wenigstens eine Andeutung machen?«
    »Vergiß es«, entgegnete Artemidoros, und im selben Augenblick kam der kleine Zeus mit den aufgefüllten Wasserflaschen und einem riesigen Laib Schwarzbrot zurück, der ihn, wie er sagte, einen Viertelstater gekostet hatte. Wir zerschlugen den Laib mit einem Stein (er war hart und spröde wie Bimsstein), weichten das Brot in Wasser ein und aßen es. Als wir fertig waren, kam der Taxiarchos zurück und erteilte brüllend Befehle.
    Es war ein langer und beschwerlicher Weg nach oben auf den Berg, obwohl der kleine Zeus Schild und Tornister für mich trug, und die Sonne war unerträglich heiß. Selbst unser Führer schien die Anstrengung zu

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