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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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zu schützen, aber das war es nicht, was sie im Sinn hatte. Sie ging mit ihrer Zunge auf meinen Mund los wie eine Drossel auf eine Schnecke, und als ich begriff, was sie machte, war es bereits zu spät, um etwas dagegen zu unternehmen, obwohl ich mein Bestes tat. Durch die Stelle, an der sie mich in die Oberlippe gebissen hatte, war mein Mund voller Blut, und mir war schlecht.
    »Gut«, sagte sie, während sie sich von mir zurückzog, »und jetzt versuch, dich von mir zu trennen.« Mit einem Ruck zog sie die Decke zu sich hinüber. »Und wenn du das tust, werde ich dafür sorgen, daß jeder Komödiendichter in Athen die vollständige Geschichte erfährt. Vielleicht mache ich das sowieso, weil mir bei dir das Kotzen kommt. Und noch etwas anderes – was mich angeht, war das eben das erste- und das letztemal. Du bist ein Jammerlappen, verstehst du?«
    In diesem Moment war ich nicht in der Stimmung zu streiten. Ich dachte, so mußte sich Agamemnon gefühlt haben, als er sich im Bad ausruhte und ihm seine Frau mit einer Axt den Kopf spaltete, woraufhin das ihn umgebende Wasser ein dunkelblaues Purpur annahm. Ich spürte, wie das Unglück um mich herumschwirrte wie Fliegen im Sommer; man kann sie nicht fangen, und sie krabbeln überall an einem herum, in die Ohren und sogar unter den Chiton. Ich kroch an den äußersten Bettrand und leckte mir das Blut von der aufgebissenen Lippe.
    Aber andererseits, sagte mir meine innere Stimme, denk auch daran, was für ein Glück du hast, eine kläffende Komödiantin als intimste Gefährtin zu haben, Eupolis aus dem Demos von Pallene. Man wird über die komische Seite dieses Geschehens lachen, noch bevor deine Nägel das nächstemal geschnitten werden müssen – komisch vielleicht nicht für dich, aber bestimmt für andere. Wenn sie Herakles’ und des Suppentopfs überdrüssig geworden sind, wenn das Einfangen der Kerkopen auf eisiges Schweigen stößt und selbst Kleon und die dreißig Talente sie nicht mehr bewegt, wird jemand sagen: »Komm, Eupolis, erzähl uns die Geschichte von deiner Hochzeitsnacht, und vergiß nicht den Teil mit…« Denk dran, was immer dir auch passiert, sie können nur deinen Körper verletzen; aber deine Seele ist die eines Komödiendichters, und alles Alberne, Lächerliche und Absurde ist für dich kostbarer als alle Silbermünzen. Reiß dich zusammen, schrie meine innere Stimme, es ist Zeit, Agamemnons Maske abzunehmen und die des Verkünders aufzusetzen.
    »Jetzt sag endlich was dazu!« zischte Phaidra mich an. »Oder bist du auch noch stumm?«
    Ich lächelte, legte mich aufs Kopfkissen zurück und schloß die Augen.
    »O weh, liebes Weib«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Phaidra, »ich fürchte, im Haus steht es nicht zum besten. Und du kannst von mir aus auch zur Hölle fahren.«

8. KAPITEL

     
    Den größten Teil des ersten Tages nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Piräus schlief ich friedlich, aber danach war mir furchtbar schlecht. Nicht alle Athener sind auf Schiffen mehr zu Hause als auf dem Festland, was immer wir Ihnen in den Komödien weiszumachen versuchen, und der Gedanke, daß ich mich auf dem Weg in einen ausgesprochen feindseligen Teil des athenischen Reichs befand, trug nur wenig zur Beruhigung meines Magens bei.
    Um auf einem Truppentransporter von Athen nach Samos zu gelangen, muß man ein großes Stück offenes Meer überqueren; zunächst von Euböa nach Andros und Tenos, dann direkt hinüber nach Ikaria (wo man mit Steinen nach uns warf, als wir Wasser holen gingen) und schließlich zur Insel Samos, die fraglos das erbärmlichste Stückchen Land ist, auf dem ich jemals in meinem Leben gewesen bin.
    Sicher, Teile der Insel sind ganz außergewöhnlich fruchtbar und ertragreich – viel mehr als alles, was wir in Attika haben –, und ein Großteil der restlichen Flächen ist wie geschaffen für den Weinanbau. Doch selbst Zeus’ Großmut hat nichts bewirken können, um die Menschen angenehmer zu machen, die eine grundsätzlich schlechte Meinung vom Rest der Welt und insbesondere von den Athenern haben. Der Schlüssel zum Verständnis der Samier ist ihr Haß auf ihre Nachbarn, die Milesier, der sich bis zum Anbeginn der Zeit zurückverfolgen läßt. Aber selbst wenn man seinen Nachbarn haßt (schließlich ist das eine ganz natürliche Eigenschaft der Menschen), denkt man gelegentlich auch an etwas anderes; zum Beispiel ob die Weinreben dieses Jahr wieder vernichtet werden oder ob der persische König in Baktrien einfallen wird.

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