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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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halten.)
    Strüver drückte auf den Klingelknopf. Ich spürte, wie er sich konzentrierte. Angespannte Gelassenheit.
    Schritte.
    Die Tür ging einen Spalt auf, ein Schulkind.
    »Guten Tag, mein Herr«, sagte Strüver (er zwinkerte mir über die Schulter zu), »ob wir denn mal –«
    »Papa«, rief der Junge, blieb aber, ohne uns aus den Augen zu lassen, an der Tür stehen.
    Strüver nickte ihm aufmunternd zu.
    Ein Mann kam.
    Vater und Sohn standen uns stumm gegenüber.
    »Guten Tag, Herr Wunschke. Schön, daß wir Sie antreffen. Gestatten Sie – ich bin Uwe Strüver von der Firma Panta Rhein, und das hier ist mein Mitarbeiter, der Herr Lobek. Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben – wir möchten Sie für ein Angebot interessieren,das gerade für Sie, in Ihrem Beruf als diplomierter Meeresbiologe …«
    Die Tür fiel sanft ins Schloß.
    Ich sah zu Strüver. Der blickte, Richtung Tür, unverwandt geradeaus. (Hinter der Tür – Stimmen. Das Kind: Papa, wer war denn das? Papa: Ach, nichts. Idioten.)
    Bedächtig stiegen wir die Treppe hinunter. Strüver sagte nichts. Ich sagte: »Mh.«
    So schön ein gekonnter persönlicher Einstieg auch sein mochte – die Verwendung der alten Listen barg offensichtlich ungeahnte Risiken. Wer weiß, womit dieser – wie anzunehmen war: gewesene – Meeresbiologe sich derzeit seine Brötchen (seine luftigen Westbrötchen!) verdiente.
    Wen alles wir noch an diesem Nachmittag aufsuchten, weiß ich nicht mehr genau. Wir gingen jetzt nämlich nicht mehr nach Liste vor, sondern verlegten uns auf Spontanbesuche. Strüver hatte diesen Kurswechsel sofort verordnet, als wir wieder unten auf der Straße standen: man müsse nach solch einem Anfangsfehlschlag einfach völlig neu ansetzen, das Schädlichste sei jetzt eine zermürbende Fehlerdiskussion. Also – wir gingen auf gut Glück los, und wir schienen zunächst auch Glück damit zu haben …
    Zwei Häuser weiter, vierter Stock, wurde uns, nachdem wir mehrmals geklingelt hatten und schon gehen wollten, bereitwillig die Tür geöffnet. »Kommt rin, Jungs«, sagte eine Männerstimme. Der dazugehörige Mann drehte sich um und ging voran – was heißt »gehen«? Er schien den schmalen Korridor bergan zu steigen. Mit einer Hand stützte er sich dabei an der Wand ab.
    Es roch nach Bier.
    Strüver zögerte.
    »Wat nu?!« hörten wir die Stimme des Mannes, der inzwischen glücklich das Wohnzimmer erreicht hatte. Als wir nähertraten, sahen wir, wie er sich in einen Sessel absenkte. Er sah zu uns auf und wischte mit der Hand, aus dem Handgelenk heraus, schräg durch die abgestandene Luft. Das war in Richtung Sofa geschehen – offenbar also als Einladung gedacht, dort Platz zu nehmen.
    Wir ließen uns nieder.
    Der Fernseher lief stumm, schnell wechselnde Bilder einer heiteren Rateshow.
    Strüver zog eine Visitenkarte vor. Er wollte, wie ich annehme, zu einem geeigneteren Zeitpunkt wiederkommen. Der Mann nahm die Karte. Dabei richtete er sich aus dem Sessel auf. Er hielt sie mit beiden Händen. Es sah aus, als hielte er sich an der Karte fest. Er versuchte, die Schrift zu fixieren. Nach einer Weile nickte er sehr ernst. Er sah uns beide an. Dann nickte er noch einmal. Er legte die Karte ab – ich hob sie unauffällig vom Boden auf, sie war vom Tisch gefallen. Da sah ich, daß der Mann zur Seite kippte. Er verzog aber kein Gesicht dabei, sondern sah starr geradeaus. Ich dachte schon, daß wir auch ihn jetzt gleich vom Fußboden aufheben müßten; aber er hielt die Balance. Zweck dieser Schräglage war, das sah ich jetzt: er wollte an seine Brieftasche gelangen. Schließlich hatte er sie umständlich aus der Gesäßtasche zutage gebracht. Den Inhalt kippte er auf dem Tisch aus: Fahrscheine, Kleingeld, ein Foto, eine Quittung. Schließlich hatte er gefunden, was er gesucht hatte. Er überreichte Strüver nun seine Karte. Der sah sie kurz an, dann legte er sie wieder, mit kurzem Seitenblick zu mir, vorsichtig auf den Tisch. Es war eine Kreditkarte.
    Strüver erhob sich: Wir müßten jetzt leider zu einem anderen Termin, wir würden aber gern später noch einmal wiederkommen. »Is jut«, sagte der Mann, »aber verjeßt et nich, ick warte auf euch.«
    Er blieb gleich sitzen, müde auf einmal. Mit dem halbhochgereckten Zeigefinger – geradeaus, nach rechts – hatte er uns noch stumm den Weg zur Wohnungstür gewiesen.
    Beim Treppehinuntersteigen sagte Strüver (wohl mehr zu sich als zu mir): »Es gibt ethische Grenzen.«
    Dafür war ich ihm

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