Der Zimmerspringbrunnen
Wohnungstyp, das muß ich vielleicht dazusagen, war die fensterlose Küche mittels einer sogenannten »Durchreiche« vom Wohnzimmer abgetrennt. Wie viele Anträge und Eingaben hatte ich nicht in meiner Dienstzeit allein wegen dieser Durchreichen zu bearbeiten gehabt! Oft wurde sie einfach als Ablage genutzt. Doch da der Küchenabzug kaum benutzt werden konnte, weil man sonst Gefahr lief, die Gerüche des ganzen Seitenstranges in der Wohnung zu haben, wurde die Küche meist über das Wohnzimmerfenster gelüftet. Entsprechend dick setzte sich der fettige Küchenwrasen auf eben dieser fehlkonstruierten Durchreiche ab. Ein ständiges Ärgernis! Einige Mieter beantragten, diese Durchreiche ganz abzureißen, andere wiederum wollten sie mit Gipskartonplatten verkleiden. Unzählige Termine, Ortsbegehungen und Rücksprachen in dieser Sache. Ich hatte einen Extra-Ordner dafür angelegt. Auf einmal hatteich diesen ganzen leidigen Vorgang wieder deutlich vor Augen. Ich war in meinem Element!
»Sehen Sie, Frau Windisch«, sagte ich leise, »und hierher käme dann also unser Modell.«
Erstaunt, aber folgsam, wie unter Fernsteuerung, räumte Frau Windisch die Matrjoschkapuppen, die folkloristischen Töpfe, Teller und Löffel beiseite – sie sah mich groß dabei an, nickte immer wieder; ich wußte gar nicht, ob sie mir richtig zugehört hatte. Und auch ich war erstaunt: So ein langer Satz war mir schon lange nicht mehr über die Lippen gekommen.
Strüver, der sich tatsächlich zurückgehalten hatte – er sah nur schrecklich bleich aus –, blickte auf die Uhr. »Der Kohlmey-Termin!« Das brachte er hervor wie eine Erlösungsformel. Er wartete noch in der Wohnung, bis ich das Jona-Modell aus dem Auto geholt hatte, dann ging er los; den Rest sollte ich allein erledigen.
Was im weiteren geschah?
Die Vorführung des sprudelnden Walfischs erfolgte also bereits in Abwesenheit Strüvers.
Danach, als wir uns im Wohnzimmer gegenübersaßen und Kaffee tranken, sagte mir Gaby (das ist der Vorname der Frau Windisch), mein entschlossenes Auftreten, mein zielsicher-männliches Vorgehen hätten ihr unheimlich imponiert. Endlich habe ihr mal wieder einer ohne große Worte gesagt, wo es langgehe. Ich sei wohl jemand, der die Fäden fest in der Hand hielte und nicht erst lange fackele – sie sei davon wie hypnotisiert gewesen!
Wenn das nicht leider so völlig abwegig gewesen wäre, hätte ich sie am liebsten gebeten, mir das schriftlich zu geben, Wort für Wort, schwarz auf weiß. Das hätte ich ja dann bei entsprechender Gelegenheit Julia mal ganz nebenbei unter die Nase halten können.
– Haifischbecken der Gefühle –
Wieder, wie schon so oft, war es Freitag, der Hund, der folgenschwer weichenstellend in mein Leben eingriff …
Aus Gründen der Inspiration hatte ich an mehreren Stellen der Wohnung Jona-Modelle aufgestellt und in Betrieb genommen. Es plätscherte fröhlich – und da die Modelle nicht völlig synchron liefen, gab es ein ständig bewegtes, ein bewegendes, Auf und Ab zwischen Wohnzimmer, Küche und Bad … Ich kam mir vor wie auf hoher See!
Die Aufstellung war dadurch ermöglicht worden, daß Julia mich kurz zuvor verlassen hatte.
Schon die erste Großlieferung, 76 Modelle – ich hatte Strüver unsere Wohnung als provisorisches Zwischenlager angeboten –, war von Julia überaus bissig kommentiert worden: Niemand könne von ihr verlangen, im Warenlager »eines Halbirren (!)« zu hausen! – Dabei, ich hatte streng darauf geachtet, daß im Flur, wo ich den Großteil der Kartons aufgestapelt hatte, ein ausreichend breiter Trampelpfad geblieben war.
Eines Abends, auf dem Weg zum Bad, war Julia über einen der Kartons gestolpert. Meiner Meinung nach: vorsätzlich!
Ich kam selbstverständlich dennoch sofort aus dem Hobbyraum herbeigestürzt, um gegebenenfalls Erste Hilfe zu leisten.
Nun – im ausgeborgten Tonfall einer Operndiva (die Hände in Brusthöhe über dem zusammengezurrten Bademantel fest ineinander verkrallt), ließ Julia, die übrigens keinerlei äußere Verletzungsspuren vorweisen konnte, drohend vernehmen: »Ich fürchte hier in dieser Wohnung, unter einem Dach mit dir, bald um meinen Verstand!«
Da ist ja nichts zu befürchten, Gott sei Dank, dachte ich kleinlaut, aber in der Sache wohl zutreffend. Trotzig blickte ich sie an: Der Trampelpfad war wirklich breit genug!
Nunmehr sollte ich zum ersten Mal in meinem Leben Augenzeuge dessen werden, wie jemand, buchstäblich und ohne
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