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Der Zimmerspringbrunnen

Der Zimmerspringbrunnen

Titel: Der Zimmerspringbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Sparschuh
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Angaben über Alter, Beruf und Wohnungsgröße. In der Spalte ganz rechts, »Sonstiges«, waren Besonderheiten (Mängel, Reparaturleistungen und so weiter) der einzelnen Wohnungen aufgeführt. Auch laufende Ausreiseanträge waren gesondert vermerkt. Diese Wohnungen waren damals bevorzugt, mit Dringlichkeitsstufe, bearbeitet worden.
    »Donnerwetter«, sagte Strüver noch einmal – und wollte wissen, wie ich denn an dieses heiße Material gekommen sei.
    Ich zuckte die Schultern und lächelte ihn allwissend an.
    Strüver nickte mehrmals rasch hintereinander, so, als hielte er im Osten prinzipiell alles für möglich.
    Um es gleich zu sagen: Ich bin der Meinung, es lag auch an den Listen. Das zeigte schon unser erster Versuch.
    Strüver hingegen glaubte bis zuletzt fest an die Wunderkraft der Papiere. (Er war, später, eher bereit, das ausbleibende Kaufinteresse damit zu erklären, daß Jona, als eine westliche Kreation, im Osten auf ein »gänzlich anders sozialisiertes Publikum« stieß.)
    Um überhaupt einen Anfang zu machen, nahm Strüver noch einmal die Listen vor. Er ging die Spalte »Beruf« durch. Bald schon schien er – zur »Einstimmung« – etwas Passendes gefunden zu haben.
    Mein Blick streifte die Seite – kein roter Kreis! Das war gut. (Der rote Kreis war mein Aktenzeichen für erfolgten Hausbesuch.) Zwar hatte ich bei der Durchsicht der Listen streng darauf geachtet, lediglich solche Vorgänge auszuwählen, mit denen ich damals nur schriftlich, das heißt auf dem Amts- und Eingabenweg, befaßt war – dennoch, äußerste Vorsicht war geboten. Auf gar keinen Fall wollte ich Leute besuchen, die mich noch von früher her kennen konnten.
    Als wir im Auto saßen, gab Strüver mir noch einige Tips für später, wenn ich allein unterwegs sein würde. Bei angemeldeten Besuchen zum Beispiel: Niemals zu früh auftauchen! Lieber noch dreimal um den Wohnblockkurven. Schließlich, wir sind ja keine Strauchdiebe, keine Klinkenputzer – wir vertreten ein hochwertiges Produkt und das, verdammtnochmal, ist ja vertretbar. Deshalb sind wir auch sehr beschäftigt, unsere Zeit ist knapp. Wenn wir länger mit einem Kunden reden, schenken wir ihm unsere Zeit. Das tun wir ja gern, aber … Die Rollenverteilung (das Who is who?) muß im Vertretergespräch neu geregelt werden. Nicht wir sind die Verkäufer – der Kunde muß etwas wollen, er muß uns ein Stück seiner Wohnung für einen Zimmerspringbrunnen verkaufen wollen. Und dann kaufen wir uns – ihn!
    So ungefähr.
    Ich stellte mir vor, was wohl Julia dazu sagen würde, sähe sie mich hier mit Strüver auf der Fahrt in mein einstiges »Hoheitsgebiet«. Um nun auch meinerseits etwas zum Gespräch beizusteuern, sagte ich, als Strüver längere Zeit geschwiegen hatte: »Eigentlich müßte ›Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‹ Pflichtlektüre für alle Ex- DDR ’ler werden.«
    Strüver, die Augenbrauen interessiert hochgezogen, sah kurz zu mir herüber, dann konzentrierte er sich wieder auf den Verkehr.
    Mehrmals, den Blick nach vorn, nickte er noch nachträglich. Ich kam mir vor wie ein Kollaborateur, als wir in Strüvers weißem Firmen-Passat in meinen alten Kontrollbezirk einbogen. Und ich bereute schon, die Listen herausgerückt zu haben – obwohl, sie waren nun mal das einzige »Stammkapital«, das ich in meine frisch begonnene Vertreterlaufbahn einbringen konnte … Mein schlechtes Gewissen deswegen mischte sich mit der Lust, es nun wenigstens auch rechtmäßig zu verdienen. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, und versuchte, den Ereignissen cool und entschlossen entgegenzusehen.
    Schon die »Landung« erwies sich als schwierig. Früher hatte ich hier immer gleich einen Parkplatz bekommen. Jetzt schwebten wir längere Zeit bestimmungslos durch das Viertel, ehe wir schließlich in einer gerade freigewordenen Parktasche zum Halten kamen.
    »Also denn«, sagte Strüver.
    Wir steuerten das Haus an, das Strüver für unseren ersten Versuch ausgewählt hatte. Unten, die Haustür, stand offen, das war gut – so entfielen umständliche Verhandlungen durch die Wechselsprechanlage. Ich setzte die Sonnenbrille jetzt doch wieder ab. Im zweiten Stock machte Strüver vor einer Tür halt. »Mal sehen, ob es klappt.« – Ich sollte vor allem auf seinen Gesprächseinstieg achten, mich ansonsten aber still verhalten. (Vorher, im Auto, hatten wir noch vereinbart, daß ich – im Erfolgsfall – der Springer sein sollte, er würde solange oben die Stellung

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