Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
einzelne Inseln der Wärme innerhalb der Feste, die das Leben erträglich machten.
Noch immer war das Hauptgebäude wenig mehr als eine gut gesicherte Ruine, denn der Wiederaufbau war noch nicht im erhofften Umfang vorangeschritten, da andere Aufgaben die Aufmerksamkeit der Wlachaken erfordert hatten.
Şten cal Dabrân stand am Fenster seines Schlafgemachs und spähte durch die gefettete Haut, mit welcher der Fensterrahmen bespannt war, hinaus in das trübe Dämmerlicht des frühen Abends. Zwanzig Jahre, dachte er. Zwanzig Jahre ist es her, dass Viçinia und ich hierhergekommen sind, um Ionnas Erbe anzutreten. Ich habe mich nicht danach gesehnt, über Wlachkis zu herrschen. Ich war in Dabrân zufrieden.
Aber Viçinia war als Ionnas Schwester die nächste Verwandte der Voivodin gewesen, und so hatte sich die Frage nach einer anderen Thronfolgeregelung nie gestellt.
Gemeinsam mit Natiole, der damals noch ein Säugling gewesen war, hatten sie nach der großen Schlacht, in der die Voivodin gefallen war, die Reise in die Hauptstadt angetreten. Und seitdem hatten sie versucht, aus dem ausgebluteten und zerrissenen Land eine gemeinsame Heimat für Wlachaken und Masriden zu schaffen. Tamár war ihnen dabei stets eine große Hilfe gewesen. Auch wenn
Şten den Marczeg oft als arrogant empfunden hatte, war dieser doch verständig gewesen, wenn es darum ging, bei Schwierigkeiten eine Lösung zu finden, mit der die Menschen in beiden Teilen des Landes leben konnten. Dass er sein halbes Leben lang mit einer Wlachakin liiert gewesen war, die sich stur wie ein Maulesel geweigert hatte, ihn zu heiraten, mochte dazu beigetragen haben.
Und jetzt sieht es so aus, als seien all unsere Bemühungen umsonst gewesen. Wenn Sziglos Békésar Marczeg wird, werden wir wieder in den Krieg ziehen müssen. Ich werde Natiole ein Land hinterlassen, das nicht friedlicher ist, als es bei seiner Geburt war.
Besorgt dachte der Voivode an seinen Sohn und die Trolle, die wohl im fernen Dyrien von den erschreckenden Nachrichten noch nichts gehört haben konnten, die das Land zwischen den Bergen betrafen. Er fragte sich, wie die Dinge wohl in den Eingeweiden der Welt standen. Kerr hatte die Höhlen der Trolle nicht gern verlassen, das war ihm deutlich anzumerken gewesen. Er fürchtet, was mit Andas Brut geschieht, wenn er nicht da ist. Ich hoffe, Sargan gelingt es irgendwie, seinem Imperator das Anliegen der Trolle begreiflich zu machen. Und noch mehr hoffe ich, dass Artaynis rasch genug nach Colchas gelangt, um Nati vor einem Rückweg durch Ardoly zu warnen.
Aber selbst wenn Artaynis Natiole und Kerr rechtzeitig erreichte, war die Lage kompliziert. Konnte Nati nicht durch das masridische Gebiet reisen, blieb ihm und den Trollen der Rückweg erst einmal versperrt. Und das wird weder den Trollen noch ihm schmecken.
War es richtig gewesen, Natiole gehen zu lassen? Seinen stillen, verschlossenen Sohn mit dem nur allzu leicht aufbrausenden Temperament, der im entscheidenden Moment alles für seinen Bruder gewagt hatte.
Es klopfte, und der Voivode wandte sich der Tür zu.
»Komm herein.«
Er wusste, dass es Riclea war. Sie öffnete die Tür, blieb aber auf der Schwelle stehen, ohne einzutreten.
»Die halbe Stadt sucht dich«, sagte sie leichthin. »Seit wir diesen Sylken hergebracht haben, geht es in der Festung zu wie in einem Bienenstock. Alle Gänge summen nur so von unzähligen Gerüchten. Die einen behaupten, die Sylken seien mit den Masriden verbündet, und die anderen, sie würden im Auftrag der Dyrier handeln. Ich habe sogar schon gehört, dass uns demnächst gewiss eine Armee aus Sylken und Trollen angreifen werde.«
Die Vorstellung entlockte Şten ein Lächeln. »Das wird wohl nicht einmal geschehen, wenn Natiole in Colchas furchtbar scheitert.«
Riclea lachte leise. »Aber auch wenn die meisten Behauptungen Unsinn sind, irgendetwas müssen wir unternehmen. Wir müssen herausfinden, in wessen Auftrag die Sylken gehandelt haben.«
Der Voivode seufzte. »Du hast recht. Gib Ionnis und Vintila Bescheid. Und Cornel. Wir sollten mit dem Gefangenen sprechen.«
Seine Beraterin nickte und wurde plötzlich ernst. »Und … du solltest dir wirklich überlegen, ob es nicht das Beste wäre, jetzt ein für alle Mal die Masriden über die Berge zu treiben. Wenn wir nach Ardoly reiten, bevor sie einen neuen Marczeg haben, könnte das ein kurzer Kriegszug werden. Wlachkis wäre endlich wieder unser, und Natiole könnte sicher nach Hause kommen.«
Mit
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