Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
unwandelbar wie die Sorkaten selbst. Das Bild seines Vaters verschwamm, als dem jungen Wlachaken Tränen in die Augen stiegen. Es ist nicht gerecht. In der Stunde seines größten Triumphs wird dem Land sein bester Mann genommen. Und mir mein Vater. Der Gedanke war egoistisch, und er wusste es, geboren aus dem Gefühl der Verlassenheit, das sich in ihm breitmachte, ohne dass er es hätte verhindern können. Natiole wurde auf erschreckende Weise bewusst, dass er noch so viel von Şten hätte lernen wollen. Du hinterlässt mir ein großes Erbe, und ich weiß nicht, ob ich der Richtige dafür bin.
»Sichere Wege, Vater«, flüsterte er schließlich. Er wartete einige Momente, in denen seine Stimme zu versagen drohte. »Wir sehen uns auf den Dunklen Pfaden wieder.«
Als er sich umdrehte, sah er seinen Bruder in der Tür stehen. Ohne dass er es bemerkt hätte, war Ionnis in das Zimmer getreten. Auch seine Augen waren rotgerändert. Natiole legte seinem jüngeren Bruder eine Hand auf die Schulter und drückte ihn kurz an sich. Dann wandte er sich ohne ein Wort ab, damit auch Ionnis sich in Ruhe verabschieden konnte.
Natioles Schritte führten ihn aus Ştens Gemächern und bis in den Hof. Die kühlen Winde von den Sorkaten wehten noch, aber der Frühling war weit fortgeschritten, und bald würde es Sommer werden.
Viele Menschen waren im Innenhof versammelt. Trauernde, die dem Voivoden die letzte Ehre erweisen wollten. Aber auch jene, die schon jetzt das Gespräch mit Ştens ältestem Sohn suchten, um dem neuen Herrscher ihre Interessen ans Herz zu legen. Wie hast du das nur ausgehalten, fragte sich Natiole nicht zum ersten Mal, seit er vom Tod seines Vaters erfahren hatte.
Hier in Teremi kamen alle zusammen, die Würdenträger, die Reichen und die Mächtigen des Landes, Gesandte und Händler aus Turduj, Wlachaken, Masriden, Szarken, und sie alle suchten den Rat und den Beistand des Voivoden.
Aus einem Impuls heraus sprang Natiole die drei Stufen empor, die zur neuen Haupthalle führten. Das Gebäude war wieder errichtet worden, wenn auch noch nicht geschmückt, und schon bald würden sie sich dort einfinden, sich Şten cal Dabrâns erinnern, Geschichten erzählen und das Andenken an ihn lebendig halten.
»Ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid«, rief der junge Wlachake, so laut, dass sich alle zu ihm umwandten. »Schon bald wird der Haushofmeister euch zu meinem Vater führen, damit ihr alle ihm die letzte Ehre erweisen könnt.«
Die Anwesenden murmelten und nickten sich zu. Sie erwarteten nicht mehr von ihm, noch nicht, und wollten
sich schon abwenden. Aber Natiole war noch nicht fertig: »Und ich will von dem Voivoden sprechen, der dort oben tot in seinem Bett liegt.«
Damit hatte er wieder ihre Aufmerksamkeit.
»Mein Vater hat, trotz seiner kriegerischen Vergangenheit, stets den Frieden für unser Land gesucht. Er hat Abkommen geschlossen, Kompromisse ausgehandelt. Er ist Marczeg Tamár auf Augenhöhe entgegengetreten. Er kannte den Widerstand gegen die Unterdrücker, und er kannte die Schrecken des Krieges, und er wollte sie uns ersparen.«
Mit einer weit ausholenden Geste bezog der junge Wlachake alle Anwesenden ein.
»Er hat uns Freiheit gebracht. Aber auch Wohlstand. Er hat ein Land geschaffen, in dem eine Generation in Frieden heranwachsen konnte. Und das brachte ihm auch Feinde ein.«
Wut stieg in Natiole auf, Zorn darüber, dass er diesen Verlust ertragen musste.
»Wlachaken haben Wlachaken getötet! Kriegstreiber und Mörder haben alles dafür getan, den Frieden in unserem Land zu zerstören! Beinahe wären wir wieder übereinander hergefallen, Masriden gegen Wlachaken, Bruder gegen Schwester. Wir hätten Kriege geführt, das Land ausgeblutet und alles mit Füßen getreten, wofür Şten cal Dabrân gelebt hat!«
Er schwieg einige Momente.
»Und ich habe auch so gedacht. Ich wollte den Krieg. Ich verstand nicht, was mein Vater mir sagen wollte.«
Die Zuhörer hingen nun an seinen Lippen, das konnte Natiole spüren.
»Wir haben das Imperium geschlagen. Wir haben gegen das mächtigste Reich der Welt gesiegt. Aber nur, weil das Land zwischen den Bergen einig war. Einzeln wären wir gefallen! Ein Sonnenpriester aus Wlachkis starb für unseren Sieg. Wir schimpften Cornel Vorbs, und doch war er
bereit, für uns zu sterben. Masriden, früher unsere Feinde, standen an unserer Seite und verteidigten uns mit ihrem Leben. In den Adern ihres Marczegs fließt das Blut meiner Familie!«
Er nutzte ihre
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