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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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das Land, doch er war nicht allein.
    Der weiße Bär betrachtete ihn traurig, dann wandte er sich ab und trat in die Wand der Höhle. Zurück blieb, was einst Azot gewesen war.

74
    Eigentlich war Natiole so erschöpft, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Doch dieser eine kreiste dennoch in seinem Kopf und ließ sich nicht abschütteln: Wir verlieren. Noch hatten sie die Linie gehalten, noch kämpften sie, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie nachgeben mussten.
    Das Zentrum war weit zurückgedrängt worden. Neue Krieger des Imperiums führten dort mit aller Macht Angriffe gegen Ştens Truppen. Natiole konnte ihnen nicht helfen, all ihre Reserven waren schon im Einsatz, und auch die Flanken erwehrten sich nur mit Mühe der gegnerischen Massen. Und immer noch stand die Sonne mehr als zwei Handbreit über dem Horizont. Es würde eine kleine Ewigkeit dauern, bis sie verschwunden war. Bis dahin sind wir alle tot, erkannte er mit furchtbarer Klarheit.
    Trotz der grenzenlosen Enttäuschung kämpfte er weiter. Kapitulation war keine Option, und er verschwendete nicht einen Gedanken daran, während er seinen Kriegern Mut zurief, sie wieder gegen ihre Feinde führte, selbst noch einmal den bleischweren Schild und die Klinge hob. Der nächste Angriff, die nächste Gefahr sandten Schockwellen durch seinen Leib, weckte seine Lebensgeister, ließ ihn handeln, instinktiv ausweichen, zuschlagen, blocken, stechen.
    Der Tod war allgegenwärtig. Um den jungen Wlachaken herum herrschte Chaos. Er fand keine Zeit mehr, Luft zu holen, zurückzutreten und sich einen Überblick zu verschaffen. Jeder einzelne Soldat wurde in der Schlachtreihe gebraucht, jede Klinge, jeder Schild. Die Toten der Wlachaken
lagen auf dem Hang verstreut, säumten einen blutigen Pfad in das Land zwischen den Bergen, über den das Imperium bald einmarschieren würde. Wir haben alles getan, was wir konnten, versuchte er sich selbst zu überzeugen. Doch der Gedanken spendete keinen Trost.
    Ein Blick zurück zeigte Natiole, dass die ersten Kämpfer davonliefen. Nur wenige zwar, aber aus dem Tröpfeln würde bald ein Strom werden, wenn die Verzweiflung in Panik umschlug.
    »Tirea«, brüllte Natiole noch einmal, und für den Augenblick sammelten die Männer und Frauen um ihn herum noch einmal ihre Kräfte. Der Schrei rief jene zurück in die Schlacht, die unsicher waren, die zweifelten. Ich sollte bei Vater sein, wenn es endet, erkannte Natiole. Ich sollte zu ihm gehen. Doch sein suchendes Auge fand das Banner seiner Familie nicht. Dort, wo es sein sollte, wehten die Kriegszeichen des Imperiums, gülden im Sonnenlicht glänzend; es schien, als verhöhnten sie den jungen Wlachaken. Sein Leib wurde eisig kalt, als er seinen Vater nirgends entdecken konnte.
    Eine Lücke öffnete sich in der Mitte der Linien, ließ die Feinde aus dem Imperium hinein, weitete sich aus. Das ist das Ende.
    Beinahe wäre Natiole von einem Speer niedergestreckt worden, so sehr konzentrierte er sich auf das Bild der Niederlage, das sich ihm bot. Doch ein Krieger warf sich mit dem Schild dazwischen und fing den Stoß ab. Gerade als Natiole sich von dem grausamen Anblick losreißen konnte, ertönte ein Schrei.
    »Die Sonne!«
    Ein Murmeln lief durch Freund und Feind; für einige Augenblicke wandten sich alle Köpfe der Sonne zu.
    Auch Natiole vergaß die Schlacht um sich herum, als er den schmalen Streifen Dunkelheit sah, der sich vor das helle Gestirn schob.

75
    Ein Ruck ging durch die Welt. Eine Veränderung, so tiefgründig, dass Kerr für den Augenblick nicht mehr wusste, wo er war. Ein Dreeg blieb aus, fehlte einfach, und die entstehende Lücke war ein fürchterliches Gefühl, so als ob oben unten sei. Dann kehrte der Atem der Welt zurück, voller Macht, doch mit einem neuen Ton.
    Die Welt war anders, aber Kerr konnte nicht sagen, wie sie sich verändert hatte.
    »Was war das?«, fragte auch Wrag. Andas Kind hielt sich den Schädel, als brenne dieser vor Schmerzen.
    »Ich … ich weiß nicht.«
    »Diese Scheißmenschlinge!« Wrag fluchte ausgiebig. »Die haben irgendwas gemacht. Goldene Bastarde!«
    »Ich glaube nicht …«
    »Doch«, unterbrach ihn Andas Kind. »Sie haben das Herz verletzt. Deswegen sind sie gekommen, weil sie das zu Ende bringen wollten, was sie einmal angefangen haben. Wenn nur dieses verdammte Himmelslicht nicht wäre.«
    Er sagte nicht, was er dann tun würde, aber seine grimmige Miene drückte es deutlich genug aus. Kerrs Blick wanderte zu dem

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