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Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle

Titel: Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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dem silbrigen Himmel sehen, wie er Steine und Mörtel aus der Wand kratzte und sich mit seinen starken Klauen den Halt schuf, den er brauchte.
    Eine weitere Gestalt erschien am Fenster und kletterte ohne zu zögern hinaus. Diesmal war es, der Größe nach zu urteilen, ein Mensch, aber die junge Dyrierin konnte nicht erkennen, wer es war. Alle Blicke hingen an dem ungleichen Paar, das weit über dem Hof todesmutig die glatte Wand der Feste hinabkletterte.
    »Weitermachen!«, brüllte Şten neben ihr. »Bewegung!«
    Erfolgreich trieben seine Worte die Wlachaken an, die Wasserzufuhr wieder aufzunehmen, und es kam die befohlene Bewegung in die Gruppe.
    Der Troll kletterte augenscheinlich langsam und bedächtig hinunter, doch seine langen Glieder ließen ihn Stück für Stück dem sicheren Boden näher kommen, und jedes Mal, wenn Artaynis ihre Augen zu der Fassade hob, hatte er wieder einen Abschnitt bewältigt. Er sah nicht nach unten, sondern war allein auf die Aufgabe konzentriert, auf das aktuelle Mauerstück, als gäbe es die Dutzend Schritt Tiefe
unter ihm gar nicht. Sein menschlicher Begleiter hatte ein dickes Seil um den Leib geschlungen, das über ihm im Fenster verschwand, und soweit die junge Dyrierin erkennen konnte, kletterte er auf den Spuren des Trolls. Sie erinnerte sich an die Klauen, die sie bei dem Rat so fasziniert hatten. Offensichtlich konnten die Trolle mehr damit tun, als ihre Feinde zu zerfetzen. Jetzt retteten sie dem Troll und den beiden Menschen womöglich das Leben.
    Wie gebannt verfolgte Artaynis den Weg der beiden. Sie selbst war eine gute Kletterin, und mit der richtigen Ausrüstung hätte sie sich durchaus die Wände dieser Burg zugetraut, aber nachts unvorbereitet aus dem höchsten Fenster zu steigen erforderte eher Waghalsigkeit als Mut. Oder Todesangst.
    Das Fenster war gut gewählt gewesen. Der direkt Weg hinab führte nicht in den Hof, sondern auf das Dach eines kleineren, fast runden Gebäudes, das sich an den eigentlichen Wohnturm schmiegte und in dessen Schatten lag. Bislang hatte Artaynis diesem Gebäude keinerlei Beachtung geschenkt; es war nicht sehr groß und wurde anscheinend kaum benutzt. Jedenfalls hatte sie noch nie jemanden eintreten sehen.
    Neben ihr stöhnte Şten plötzlich auf, und sie sah, wie aus dem Fenster über den Kletternden Flammen schlugen. Der Voivode biss sich in die eigene Hand, womöglich, um einen Schrei zu unterdrücken. Zwar hatten die beiden Kletterer bereits ein gutes Stück geschafft, und das Feuer konnte ihnen nicht mehr unmittelbar gefährlich werden, aber das Seil würde schon bald in Flammen aufgehen. Und ein Absturz würde sie vielleicht töten.
    Genau in diesem Moment rutschte der Mensch ab. Sein rechter Fuß glitt ab, und sein Körper sackte herab. Einige Augenblicke lang hing er den Naturgesetzen zum Trotze an nur einer Hand, dann löste sich sein Griff. Mit einem Schrei stürzte er sicherlich ein gutes Dutzend Schritt in die
Tiefe, dann wurde sein Fall mit einem Ruck gebremst – das Seil um seinen Leib hielt ihn fest. Er schlug dumpf gegen die Mauer, und Artaynis zuckte bei dem Geräusch zusammen. Wie durch ein Wunder war der Kletterer haarscharf an dem Troll vorbeigestürzt, der seinen Abstieg nun beschleunigte. Bald schon hatte das Wesen den hilflos Hängenden erreicht und packte seinen Arm. Artaynis warf einen Blick zu Şten, der nun die Hände erhoben hatte, sie wie beschützend der Fassade entgegenstreckte und selbst so weiß wie eine getünchte Wand war.
    Als zöge das Feuer ihren Blick an, musste die junge Dyrierin ebenfalls wieder hochschauen. Aus dem Fenster, aus dem das Seil baumelte, schlugen bereits Flammen. Jetzt betete sie doch.
    Der Troll klammerte sich mit nur einer Klaue in die Wand. Mit der anderen versuchte er, den Menschen hochzuziehen. Es war kaum vorstellbar, was dieses Wesen für eine Kraft haben musste. Langsam, aber bestimmt zog es den Gestürzten hoch.
    Bis das Seil weiter oben riss.
    Ruckartig fiel der Mensch weiter hinunter, entglitt der Hand des Trolls und stürzte auf das Dach des runden Gebäudes, so dass Artaynis ihn nicht mehr sehen konnte. Şten gab ein ersticktes Geräusch von sich, fing sich dann aber und stürmte quer über den Hof.
    »Leitern!«, rief er dabei, und sein Husten und die Anstrengung schienen vergessen. Wie ein gefangenes Raubtier lief er vor der Mauer auf und ab, bis endlich Soldaten mit einer langen Leiter zu ihm kamen. Innerhalb weniger Momente erklomm er diese und sprang auf das Dach

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