Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
Komplex geworden, in dem die verschiedenen Tempel, Paläste und Verwaltungsprachtbauten ineinander übergingen, wo jede Grenze verschwamm und der uneingeweihte Besucher nur ein heilloses Durcheinander von Gebäuden, Plätzen und Straßen erkannte.
Kenner jedoch, wie Kamros einer war, sahen die unsichtbaren Grenzen, konnten die Hierarchien erspähen, deren subtile Auswirkungen sich auch in der pompösen Architektur zeigten.
Die Tempel mochten mitten im Herzen des Imperiums stehen, doch ihr Einfluss war gering. Schon seit Jahrhunderten war Religion mehr eine Privatsache, und die Priester
hatten kaum noch Einfluss auf die Herrschenden. Tatsächlich wurden sie von den Beamten argwöhnisch beäugt; ein zu tief verwurzelter Glaube hatte schon mindestens zwei Imperatoren den Kopf gekostet.
Wichtiger waren die Verwaltungsprachtbauten, auch eine Art von Tempeln, in denen jedoch weitaus weltlicheren Göttern gehuldigt wurde: Effizienz, Reichtum, Macht, Einfluss. Gottheiten, vor deren Opferaltären auch Kamros bereits gekniet hatte.
Ein so gewaltiges Reich wie das Goldene Imperium benötigte eine Verwaltung, die den vielfältigen Problemen gewachsen war. Und die Bürokraten hatten eine solche errichtet. In den vielen Jahrhunderten ihres Bestehens mochte sie angeschwollen sein, selbstherrlich und sogar allzu selbstgefällig geworden sein, aber sie war das Herz des Imperiums, dessen Adern bis in die fernsten Provinzen reichten und dort für Wohlstand und Sicherheit sorgten. Der Imperator war das Hirn, wenn man bei dem Bild des Leibes bleiben wollte, aber ohne das Herz und das Blut, das es durch die Adern pumpte, wäre das Reich schon lange zusammengebrochen.
Der jetzige Herrscher wusste dies, war er doch einst selbst Beamter gewesen, und er zollte der Bürokratie den Respekt, der ihr gebührte. Gleichzeitig sorgte er jedoch dafür, dass sich die verschiedenen Bereiche im Gleichgewicht hielten und niemand mehr eine solche Macht erlangen konnte, wie es dem Goldenen Triumvirat gelungen war. Es war ein schwieriges Spiel, und der Imperator beherrschte es meisterhaft.
»Ah, du musst Kamros sein«, begann Baryxes das Gespräch jovial und lenkte damit die Aufmerksamkeit des Beamten wieder ins Hier und Jetzt. Die Wortwahl der Eröffnung war ein gutes Zeichen und deutete eine gewisse Offenheit gegenüber Kamros’ Anliegen an. Baryxes hatte sich zu dem Beamten umgedreht. Er trug, selbstverständlich,
Roben aus den erlesensten Seidenstoffen, gefärbt mit den teuersten Farben, die es im ganzen Imperium gab. Seine Finger wurden von goldenen Ringen geschmückt, und sein dunkles, lockiges Haar war mit juwelenbesetzten Kämmen nach hinten gesteckt. Er war erstaunlich schlank für jemanden, der zu jeder Mahlzeit ein Festmahl erhielt, und seine Züge waren noch jugendlich, soweit sich dies unter der perfekt aufgetragenen Schminke erkennen ließ.
»So ist es«, erwiderte Kamros etwas förmlicher.
»Larzanes hat mir von dir nur Gutes berichtet. Du bist mit seiner Tochter vermählt?«
»Ich hatte das Glück, von Larzanes als Schwiegersohn akzeptiert zu werden.«
»Gehen wir ein Stück? Gleich werden einige Tiere gefüttert, und ich schaue gern dabei zu«, erklärte Baryxes mit einem offenen Lächeln. Die Worte des Mannes zeigten Wirkung. Die sorgsam zurechtgelegten Erwiderungen in Kamros’ Geist verloren an Gestalt; er hatte nicht mit einem derart offenen und geradezu freundschaftlichen Empfang gerechnet. Larzanes hatte versichert, ein gutes Wort für ihn einlegen zu können, aber dies ging sicherlich weiter als ein simpler Gefallen. Ich muss vorsichtig sein. Er umwickelt mich mit unsichtbarem Faden. Wie eine Spinne, bevor sie ihr Opfer frisst.
»Es würde mich erfreuen«, entgegnete Kamros etwas lahm und folgte Baryxes in den Garten. Die Sklaven schlossen sich ebenfalls an, doch hielten sie dezent Abstand.
»Ich muss dir gratulieren. Ich hörte, dass du den alten Anphanes beerbt hast.«
»Man hielt es wohl für angemessen, mir diesen Posten zuzuweisen. Ich hoffe, dass ich mich als würdig erweisen werde.«
Die Antwort entlockte Baryxes ein leises Lachen. Vielleicht lag es an ihrer Bescheidenheit, oder es entsprang
dem Wissen um die Kämpfe, die Kamros mit den anderen Anwärtern auf die Beförderung ausgefochten hatte.
»Das bist du sicherlich. Ich kenne Larzanes schon lange. Er würde dich nicht loben, wenn deine Taten nicht seinen Beifall fänden. Und er würde keine Verbindung mit dir eingehen, wenn er sich davon nichts erhoffte.
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