Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
seinen Unmut über die Unterbrechung zu bekunden. Erst als Kerr ihm bedeutete zu warten, wurde das Grollen des Tiefentrolls leiser.
»Wolltet Ihr etwa abreisen, ohne Euch von mir zu verabschieden?«, fragte Artaynis mit kühler Stimme. Doch als Natiole zu sprechen anhob, unterbrach sie ihn mit erhobener Hand: »Ich meinte Kerr.«
Verdutzt blickte der Troll von ihr zu Natiole, der mit offenem Mund dastand, und wieder zurück zu der Halbzwergin.
»Menschen schlafen nachts«, stellte er neutral fest. »Alle anderen schlafen.«
»Keine gute Entschuldigung, aber zum Glück bin ich ja wach und habe Eure Abreise bemerkt. Ich wünsche Euch eine gute Reise. Möge Agdele über Eure Pfade wachen. Sogar über die Euren, Natiole cal Dabrân, auch wenn Ihr es nicht für nötig befunden habt, mir auf Wiedersehen zu sagen.«
»Ich bitte um Verzeihung. Mir war nicht bewusst, dass es erwünscht war«, erwiderte Natiole mit steifen Worten und einer noch steiferen Verbeugung.
»Dann hättet Ihr mir zumindest die Schmach erspart,
Euch hinterherzulaufen, um Euch zu bitten, einen Brief an meinen Vater mitzunehmen. Würdet Ihr das für mich tun?«
»Natürlich. Mit dem …«, begann der junge Mann, aber Wrag fiel ihm ins Wort: »Aufbruch. Das hast du gesagt, Mensch.«
»Nur einen Augenblick«, bat Artaynis mit einem breiten Lächeln, das Kerr vorsorglich die Hand auf Wrags Arm legen ließ. Andas Kind war nicht erfreut und ihm gefletschte Zähne zu zeigen, war gerade im Moment keine gute Idee.
»Mit dem größten Vergnügen«, wiederholte Natiole. »Ich werde Euer Schreiben persönlich überbringen. Der Brief einer treuen Tochter?«
»Wohl eher die Bitte, mir meine Diener doch noch nachzusenden. Nichts gegen Voica, aber ein Kypassis braucht geschickte und geübte Hände«, erwiderte die Menschin, zwinkerte aber dann. »Die Worte einer liebenden Tochter sende ich ihm natürlich auch.«
Kerr fühlte sich unbehaglich. Menschen, vor allem Männer und ihre Frauen, schienen ein sehr kompliziertes Verhältnis zueinander zu haben, und er konnte nicht sagen, dass er wirklich verstand, was zwischen ihnen vorging. Aber er wusste, dass bei Menschen wie bei Trollen die Paarung ein starkes Band war, stärker manchmal sogar als die Verbindung zum Stamm. Umso mehr sorgte er sich, dass er die Zeichen zwischen der Halbzwergin und Natiole nicht zu deuten vermochte.
Lächelnd verneigte sich Natiole erneut, bevor er eine kleine Ledermappe in Empfang nahm. Mit einem »Sichere Wege!« wandte er sich ab, und der kleine Konvoi setzte sich wieder in Bewegung. Noch einmal sah Kerr zu Şten zurück, der mit der Menschin im Hof stand und ihnen nachdenklich hinterherblickte.
22
E s stimmt, was ich Natiole gesagt habe, grübelte Artaynis. Das Leben in Wlachkis entbehrt beinahe jeder Förmlichkeit.
Obwohl sie mit Ionnis weder verwandt noch ihm ansonsten offiziell verbunden war, ließ der Voivode es zu, dass sie an seinem Bett wachte wie eine Schwester oder Verlobte, und Şten cal Dabrân behandelte seinen dyrischen Gast auch sonst in allen Dingen, als gehöre sie zu seiner Familie.
Aber gerade das Fehlen eines Protokolls machte es Artaynis schwer, zu entscheiden, was richtig und was falsch war. Sie war daran gewöhnt, dass es viele Regeln gab, die befolgt werden mussten; dass es in Wlachkis keine Regeln gab oder sie diese nicht kannte, machte sie nervös. Während um sie herum daran gearbeitet wurde, die Überreste des Feuers zu beseitigen und mit dem Wiederaufbau des Turmes zu beginnen, war sie auf der Suche nach einem Platz, an dem sie sich nützlich machen konnte.
Seufzend betrachtete sie Ionnis, dessen Zustand nun seit zehn Tagen unverändert war. Sein schmales Gesicht wirkte eingefallen, die Haut war blass unter den dunklen Locken, die ihm in die Stirn hingen. Schlafend wirkte er jünger als seine beinahe zwanzig Sommer.
Sie musste an die Trolle denken und an Natiole, der sie in ihre Heimat begleitete, während sie hierbleiben musste. Die Begegnung mit Ionnis’ älterem Bruder vor seiner Abreise hatte sie überrascht. Er hat mich zum ersten Mal nicht so behandelt, als ob ich eine lästige Krankheit sei. Und er war kein bisschen stolz auf das, was er getan hat. Dabei
hätte er jedes Recht dazu. Ein seltsamer Junge. Seltsam und verschlossen.
Es klopfte an der Tür, und als sie öffnete, stand Livian vor ihr, eine resolute, ältere Frau, auf deren Heilkünste der Voivode große Stücke hielt.
Sie nickte Artaynis zur Begrüßung zu, bevor sie sich dem
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