Der Zorn der Trolle - Hardebusch, C: Zorn der Trolle
überrascht.
»Oh, mehr Parteien als ich aufzählen kann, vermutlich. Ganz sicher aber alle, denen der Frieden zwischen Wlachaken und Masriden nie behagt hat. Die Frage ist nur: wer von diesen würde so weit gehen, für seine Pläne und Absichten die Familie des Voivoden anzugreifen?«
Das war eine interessante Überlegung, die Artaynis so bisher nicht angestellt hatte. In der Tat, grübelte sie, vielleicht haben wir bislang die falschen Fragen gestellt. Die alte Feindschaft zwischen Wlachkis und Ardoly sitzt so tief, dass
offenbar niemand mehr nach einem triftigen Grund für einen Angriff sucht.
»Und was wollt Ihr in dieser Sache unternehmen?«
Der Priester zuckte mit den Achseln. »Es gibt kaum etwas, was ich unternehmen kann«, entgegnete er. »Ganz Teremi misstraut unserem Orden, und es ist eine kleine Gnade des Göttlichen Lichts, dass ich mich überhaupt noch frei bewegen darf. Wie lange dieser Umstand noch anhalten wird, ist zudem fraglich. Und wenn ausgerechnet ich einen anderen verdächtige, wer wird mir glauben? Nein, um den Voivoden zu überzeugen, sind mehr als Worte nötig. Ich bräuchte unwiderlegbare Beweise.«
»Ich kann Eure Sicht der Dinge nachvollziehen«, überlegte Artaynis vorsichtig. »Und vielleicht kann ich Euch helfen. Ich könnte …«
Weiter kam sie nicht. Vom Hof der Feste drang lautes Rufen in die Kapelle, und dröhnendes Pferdegetrappel erklang.
»Was ist denn nun schon wieder passiert?«, meinte der Priester, augenscheinlich mehr zu sich selbst als zu seiner Besucherin, und öffnete die Holztür. An seiner Schulter vorbei spähte Artaynis in den Hof.
Vier gepanzerte Reiter, die Farben und Wappen der Masriden trugen, galoppierten in den Hof. Einer von ihnen trug ein Banner, das einen aufgerichteten Greifen zeigte. Boten von Marczeg Békésar?, fragte sich Artaynis, die das Wappen zu erkennen glaubte.
Sofort bildete sich eine Menschentraube um die Soldaten, als die Handwerker und Bediensteten der Festung zusammenströmten. Der Anführer der Masriden, ein hochgewachsener Mann, sprang von seinem Rappen und zog den Helm vom Kopf. Darunter kam ein kurz geschorener blonder Haarschopf mit einer einzelnen langen Haarlocke zum Vorschein. Der Reiter mochte dreißig oder auch vierzig Sommer gesehen haben, sein vom Wetter gegerbtes Gesicht
machte es schwer, das genau zu bestimmen. Seine Hand lag auf dem Griff des Kriegshammers, der an seiner Seite hing, als sei er unsicher, ob er sich unter Freunden oder Feinden befand. »Holt den Voivoden«, befahl er mit lauter Stimme. »Wir bringen wichtige Nachrichten aus Ardoly!«
Zögernd lösten sich einige Gestalten aus der Menschenmenge und liefen in die Feste, um den Auftrag zu erfüllen.
Die anderen Reiter stiegen nun ebenfalls von ihren Tieren, hielten diese jedoch am Zügel fest und machten keine Anstalten, sie in die Ställe zu führen oder sie in die Obhut anderer zu geben.
Schließlich erschien der Voivode in Ricleas Begleitung in der Tür. Die auf dem Hof versammelten Wlachaken machten ihm respektvoll Platz und ließen ihn zu den Neuankömmlingen durch. Şten cal Dabrân baute sich vor ihnen auf und sagte mit ruhiger Stimme zu dem Anführer, den er offenbar erkannte: »Ich grüße Euch, Baczai. Ich nehme an, Ihr bringt wichtige Neuigkeiten, wenn sie nicht warten können, bis ich Euch hereingebeten habe?«
Der als Baczai Angesprochene verneigte sich. »In der Tat, Vezét. Was ich zu sagen habe, duldet keinen Aufschub.«
Der Mann hob den Blick wieder und zögerte dann entgegen seiner Worte doch noch einen Moment, bevor er verkündete: »Marczeg Tamár Békésar ist tot, Herr. Er wurde feige erschlagen, in einer Hütte in der Nähe der Sorkaten.«
»Was?«, entfuhr es dem Voivoden. »Der Marczeg wurde ermordet? Aber von wem?«
»Das wissen wir nicht, Vezét. Noch nicht. Aber – Marczeg Békésar war nicht allein, als wir ihn endlich fanden.«
Der Schatten einer Ahnung schien über das Gesicht des Voivoden zu ziehen. Sein Blick verdüsterte sich, aber er fragte fest: »Wer war bei dem Marczeg, als er starb?«
Jetzt zitterte die Stimme des Masriden doch. »Flores cal Dabrân, Herr. Eure Schwester. Sie wurde von den gleichen Händen erschlagen.«
Niemand sagte ein Wort. Es war, als ob alle Versammelten gleichzeitig den Atem anhielten, und es wurde so gespenstisch still, als ob die Szene auf dem Hof nur ein Gemälde sei, dachte Artaynis. Die Zwillingsschwester des Voivoden, gemeinsam mit dem Herrscher der Masriden erschlagen. Agdele
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