Der Zorn des Highlanders
ihm nicht, einfach nur die Leidenschaftlichkeit zu genießen, ohne sich dabei in Gefühlen zu verstricken.
Avery war witzig, sie brachte ihn zum Lachen – was in den vergangenen Jahren kaum jemand geschafft hatte. Sie war im Grunde eine sehr liebenswerte junge Frau, eigenwillig, klug und charmant.
Trotz ihres hohen Standes zögerte sie nicht, Seite an Seite mit den Frauen seiner Gefolgsleute zu arbeiten und sich sogar mit ihnen anzufreunden. Sie half den Verwundeten und Kranken. Sie beklagte sich nicht über die unbequeme, ermüdende Reise quer durch Frankreich. Genau genommen war das Einzige, das zwischen ihnen zu Meinungsverschiedenheiten führte, die Sache mit seiner Schwester und ihrem Bruder.
Cameron kam zu dem Schluss, dass er Avery mochte, dass er ihre Gesellschaft genoss.
Zu seinem Erstaunen kam es ihm gar nicht seltsam vor, Avery gleichzeitig als Freundin und als Geliebte zu sehen. Außerdem verdankten er und seine Männer ihr schließlich und endlich das Leben.
Das waren alles gute Gründe, um jetzt für ihre Rettung Leib und Leben zu wagen. Mit Hilfe dieser Gedanken gelang es ihm mühelos, die schwache innere Stimme zurückzudrängen, die ihm zuflüsterte, dass er sich wieder etwas vormache.
Zu Camerons Erleichterung begannen seine Männer jetzt, das Ablenkungsmanöver in die Tat umzusetzen, und hielten ihn damit von weiteren Grübeleien ab. Zwei kleine Karren am anderen Ende des Lagers fingen Feuer. Um die entstandene Verwirrung noch zu steigern, wurden die Pferde durch das Lager gejagt. Entschlossen sprang Cameron auf und rannte zur Rückseite von Sir Charles’ Zelt.
11
Es fiel Avery nicht leicht, doch sie verbarg ihre Angst, als Sir Charles das Zelt betrat. Wie das Opfer auf der Schlachtbank lag sie ausgebreitet auf dem Bett und war seinen kalten Blicken ausgeliefert. Beim Anblick seines Lächelns wünschte sie, ihr Messer zur Hand zu haben. Zwar würde ein Angriff auf ihn zweifelsohne auch für sie einen schnellen, brutalen Tod bedeuten, doch im Augenblick schien sein Tod ihr das wert.
»Hat Euch Euer edler schottischer Liebhaber auch so an sein Bett gefesselt?«
»Nein«, erwiderte sie und rief sich dann ins Gedächtnis, dass sie Französisch sprechen musste. »Nein, er hat nur eine Hand ans Bett gebunden. Ein mutigerer Mann als Ihr.« Sie konnte kaum einen entsetzten Aufschrei unterdrücken, als er plötzlich sein Schwert zog und ihr die kalte, scharfe Spitze an die Kehle setzte.
»Ihr solltet mit Eurem Spott vorsichtiger sein, Weib, besonders in Anbetracht Eurer momentanen Lage.«
»Das Blut wird Eure edlen Bettlaken beschmutzen, Mylord.«
»Oh ja, das ist zu bedenken.«
Avery hielt den Atem an, als er begann, die Bänder ihres Mieders aufzuschneiden. Dieser DeVeau war offensichtlich ebenso kalt und verdorben wie derjenige, dem ihre Mutter gegenübergestanden war. Berücksichtigte man, wie lange ihre Mutter sich mit diesem Wahnsinnigen hatte abgeben müssen, war es erstaunlich, wie liebenswürdig und glücklich sie heute war. Es erklärte auch, warum sie nur selten in ihr Vaterland zurückkehrte. Ungeachtet der Tatsache, wie gern sie ihre französischen Verwandten hatte, würde auch Avery nur widerstrebend in dieses Land zurückkommen, sofern sie lebend aus DeVeaus Händen entkam.
»Wollt Ihr mich meiner Familie nackt übergeben?«, fragte sie, stolz darauf, wie gelassen ihre Stimme klang. Sie verbarg das tiefe Entsetzen, das sie bis ins Mark erfüllte, als er ihr sorgfältig, fast gedankenverloren, die Kleider vom Leib schnitt.
»Nein, das wäre ein Mangel an Ritterlichkeit, der nicht zu mir passen würde«, erwiderte er. »Ich werde Euch in eine elegante Robe stecken. Eine Robe, die einer DeVeau-Hure wert ist. Eine, wie sie mein Cousin Vachel vor so vielen Jahren Eurer Mutter gab.«
»Und wie geht es dem lieben Sir Vachel? Ich hoffe, er ist tot.« Sie zitterte innerlich, als er ihr zerschnittenes Kleid mit der Spitze seines Schwerts aufklappte.
»Ziemlich tot.« Er trat näher ans Bett und strich über ihre Beine.
Avery zwang sich, bei seiner Berührung nicht zusammenzuzucken, noch schwerer fiel es ihr aber, den aufsteigenden Brechreiz zu unterdrücken. »Friedlich in seinem Bett gestorben, vermute ich?«
»In seinem Bett, ja. Aber friedlich? Ich fürchte nicht. Vor etwa zehn Jahren hat irgendein verräterischer Hund ihm ein besonders übles Gift verabreicht. Es dauerte lange, qualvolle Tage, bis er gestorben ist.«
Der Klang von Sir Charles’ Stimme verriet Avery, dass er
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