Der Zorn Gottes
einen Plan«,
antwortete der Mann. »Hört zu …«
»Still!«
schnarrte die Stimme. »Wenn du zu uns gehören willst, dann mußt
du Gaunts Pläne durchkreuzen. Wie du das tust, ist uns gleich, aber
wir werden dich beobachten. Adieu.«
Der Mann spähte
angestrengt in die Dunkelheit. Ein Zweig knackte, eine Eule schrie, aber
als er rief, hallten seine Worte hohl durch die Stille.
Eine Meile weiter südlich
glitt über das schwarze, stinkende Wasser der Themse ein kleines
Ruderboot mit einer verhüllten Gestalt zwischen die Strombrecher der
London Bridge. Der Mann band die Leine sorgfaltig an einen rostigen Ring
und kletterte dann den Balken hinauf zu dem blutgetränkten Gitter, wo
auf Stangen die abgeschlagenen Häupter blicklos über den Fluß
starrten. Der Mann fluchte und grinste dann.
»Wie kann man sich eine
solche Nacht aussuchen?« wisperte er. Der Fluß stank wie ein
Abort, weil die Müllbarken voller Dreck und menschlicher Abfälle
den ganzen Abend fleißig ihre Jaucheberge ins Wasser gekippt hatten;
der Gestank würde tagelang nicht vergehen. Dennoch mußte der
Dieb rasch handeln: Der französische Pirat war am Nachmittag
hingerichtet worden, sein Kopf noch frisch, die Haut sauber, die Augen
noch nicht von den Krähen ausgehackt. Vorsichtig sein mußte er
trotzdem. Schon ging das Gerücht, die Verwaltungsbehörden und
ganz besonders dieser dicke Riese, Sir John Cranston, der königliche
Coroner der Stadt, seien mißtrauisch geworden angesichts der vielen
Gliedmaßen und abgeschlagenen Köpfe, die von der London Bridge
verschwanden.
Der Dieb, ganz in Schwarz
gekleidet und mit schweren Stiefeln, die ihm auf dem glitschigen Holz
besseren Halt gaben, hatte jetzt den Vorsprung unter den blutverschmierten
Stangen erreicht. Er kauerte im Dunkeln und spitzte die Ohren, um die
verschiedenen Geräusche zu unterscheiden: Eine Barke mit
ausgelassenen Männern, die betrunken wie die Lords von den Bordellen
in Southwark nach Botolph's Wharf zurückfuhren; das Plätschern
und Murmeln des Flusses und fernes Rufen an den Ufern; der Lärm von
Schiffen, die zum Auslaufen mit der morgendlichen Flut klargemacht wurden
- und vor allem die schweren Schritte der Wachen, die am Aufgang der Brücke
hin und her gingen.
Der Dieb wartete eine Weile
und atmete geräuschlos; endlich schienen die Wachen müde zu
werden und kehrten zu ihrem kleinen Kohlenbecken zurück, um sich
aufzuwärmen. Da kletterte er auf die Brücke und tappte leise wie
eine Katze zu den langen Stangen, die mit ihrer grausigen Zier in den
Himmel ragten. Er spähte hinauf in die Dunkelheit. Er mußte
achtsam sein. So viele Hinrichtungen, so viele abgeschlagene Köpfe -
er wollte nicht den falschen nehmen. Er war am Abend dagewesen, als die Köpfe
aufgestellt wurden, aber seitdem konnten sie vertauscht worden sein. Dann
sah er die kleine Blutpfütze am Fuße einer Stange. Er lächelte,
hob sie behutsam aus ihrer Halterung, nahm den Schädel von der
Spitze, steckte ihn in einen Beutel und kletterte am Balkenwerk hinunter
in sein Boot.
*
Am Südufer der Themse,
im Labyrinth der tristen, schmutzigen Gassen von Southwark, waren die
Schenken noch hell erleuchtet, während die Meisterdiebe mit ihren
Gaunerbanden ihrem üblen Geschäft nachgingen: Fälscher,
Betrüger, Taschendiebe und Räuber wollten die Nacht möglichst
gewinnbringend nutzen. Auch andere arbeiteten: Katzenfänger, die auf
der Jagd nach billigem Pelz waren und Fleisch, das sie verkaufen konnten,
Hundekotsammler, die Säcke mit stinkender Ware an die Gerber
verkaufen wollten, und die Gelegenheitsarbeiter, die von Bierschenke zu
Bierschenke zogen und Arbeit suchten, noch ehe der Tag begann. In den Straßen
herrschte geschäftiges Treiben, aber in einem großen,
dreigeschossigen Fachwerkhaus, das ganz offensichtlich bessere Zeiten
gesehen hatte … war es dunkel und still.
Der Hausbesitzer und seine
Frau standen stumm und wie versteinert in der Tür zur Kammer ihrer
Tochter. Sie sahen sie im Licht einer einzelnen Kerze aufgerichtet in den
Polstern sitzen. Die Bettvorhänge waren weit zurückgezogen. Die
beiden warteten darauf, daß das Grauenvolle begann, und der Mann
schaute das Mädchen beschwörend an.
»Elizabeth, wird es
wiederkommen?« fragte er flehentlich.
Seine bleiche Tochter starrte
ihn nur an; ihre Augen waren glasig und blicklos.
»Oh, Elizabeth«,
hauchte
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