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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Wände seiner allerheiligsten Trinkstätte. Er schmatzte und stieß
     das rautenförmige Gitterfenster ein Stück weiter auf, um den
     Duft der Kräuterbeete zu genießen. Manche Leute mieden das
     Heilige Lamm; sie behaupteten, es sei über einem alten Leichenhaus
     erbaut, und angeblich spukten hier Geister und Gespenster. Aber für
     Cranston war es sein zweites Zuhause, und die Wirtsfrau
     verehrte ihn beinahe wie einen Heiligen.   
    Vor Jahren war sie einmal von
     einem Betrüger übers Ohr gehauen worden, der behauptete, er könne
     Rotwein und Weißwein aus demselben Faß zapfen. Dummerweise
     hatte sie einer Vorführung zugestimmt. Der Mann hatte ein Loch in die
     Wand des Fasses gebohrt und sie aufgefordert, es mit dem Finger
     zuzuhalten, während er das zweite Loch bohrte, aus dem der Weißwein
     kommen sollte. Und dann hatte die unglückselige Frau dagestanden und
     beide Löcher im Faß zuhalten müssen, während der
     Gauner sich aus ihrer Geldbörse bediente. Sie war vor Schreck wie gelähmt
     gewesen, denn wenn sie die Finger herausgezogen hätte, wäre das
     ganze Faß ausgelaufen und hätte den Schankraum knöcheltief
     unter Wein gesetzt, und außerdem wäre sie zum Gespött der
     Leute geworden.    
    Zum Glück war Sir John
     gekommen. Er hatte dem Schurken eine Kopfnuß verpaßt, ihr
     geholfen, das Faß zu verstopfen, und als der Kerl wieder zu sich
     gekommen war, hatte Cranston ihn mit heruntergelassener Hose draußen
     vor die Schenke gestellt und ihm ein Schild um den Hals gehängt, das
     ihn als Lügner und Betrüger bezeichnete.
    Eben diese Wirtin kam jetzt
     geschäftig auf ihn zu mit einem großen Becher Rotwein in der
     einen und einer Schüssel Zwiebelsuppe in der anderen Hand.
     Geistesabwesend lächelnd dankte Sir John ihr. Er nahm einen Schluck
     Wein und überlegte, wie er eine andere Betrügerin, die mörderische
     Rosamund, ihrer gerechten Strafe zuführen könnte. Olivers
     einsamer Leichnam dort oben in der trostlosen Kammer ging ihm nicht aus
     dem Kopf, dazu die kichernde Ehefrau und der speichelleckerische »Vetter«
     im Söller darunter.
    Cranston hörte Stimmen
     und hob den Kopf, als der Reliquienhändler, den er in der Milk Street
     gesehen hatte, hereingeschlichen kam.
    »Ein sündiger
     Gauner«, brummte er bei sich.
    Der Reliquienhändler war
     alt und hinkte ein wenig, aber er hatte ein durchtriebenes, kaltes,
     schmales Gesicht, einen bohrenden Blick und einen Mund, so hart und
     gespannt wie eine Schraubzwinge. Er war gut gekleidet, trug eine teure
     Samttunika und weiche rote Lederstiefel, und in der Börse an seinem
     bestickten Gürtel klimperte schwer das Geld. Grinsend winkte er dem
     Coroner zu, aber der schaute ihn nur wütend an und senkte den Blick
     auf seinen Becher. Eigentlich sollte er heimgehen und sich auf den Abend
     vorbereiten, aber das Haus war leer, denn Lady Maude war mit den beiden
     Kerlchen zu Verwandten im West Country gereist.
    »Oh, komm doch mit,
     John«, hatte sie gebettelt. »Die Ruhe wird dir guttun. Und du
     weißt, wie sehr Bruder Ralph sich freuen wird, dich zu sehen.«
    Cranston hatte betrübt
     den Kopf geschüttelt und seine zierliche Frau in seine Bärenarme
     genommen.
    »Ich kann nicht, Lady«,
     hatte er mißmutig erwidert. »Der Rat und der Regent bestehen
     ausdrücklich darauf, daß ich in London bleibe.«
    Lady Maude hatte sich von ihm
     gelöst und ihn streng angeschaut.
    »Ist das auch wahr, Sir
     John?«
    »Bei den Zähnen
     Gottes!«
    »Nicht fluchen«,
     hatte sie gemahnt. »Sag's mir nur.«
    Sir John hatte bei seiner
     Ehre geschworen, aber es hatte doch eine Lüge daringesteckt. Er
     konnte Bruder Ralph nicht ausstehen; dieser Mann war so ganz anders als
     seine Schwester. Ehrlich gesagt, Ralph war der langweiligste Mann, den Cranston je
     kennengelernt hatte. Seine einzige Leidenschaft war der Ackerbau, und Sir
     John hatte einmal trocken zu Athelstan gesagt: »Wenn du einmal zwei
     Stunden lang Ralph bei seinem Vortrag über die Zwiebelzucht zugehört
     hast, dann reicht das für die Ewigkeit.«
    Trotzdem hatte Cranston ein
     schlechtes Gewissen. Ralph hatte ein gutes Herz, und Sir John vermißte
     seine Frau und die beiden Kerlchen, wie sie dick und rund auf stämmigen
     Beinchen auf ihren Vater zugestapft kamen, damit er ihnen die kleinen
     Kahlköpfe streichelte. Er wunderte sich, weshalb Athelstan immer
     lachte, aber wenn er den Ordensbruder fragte, machte der immer gleich ein
     ernstes Gesicht,

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