Der Zorn Gottes
unter dem Lavarium hervor und wich mühelos dem
Kerzenleuchter aus, den der wütende Cranston nach ihm schleuderte.
»Verdammte Ratten!«
wiederholte er. »Die Stadt ist verseucht von ihnen. Die Hitze lockt
sie heraus.«
Er betrachtete den einsamen,
verhüllten Leichnam seines Freundes. Als er gekommen war, hatte Sir
Oliver Ingham schon seit Stunden tot dagelegen, und zwei Ratten nagten an
seiner Hand. Cranston hatte Inghams hübsches junges Weib lautstark
beschimpft, aber sie hatte nur verschlagen gelächelt und gesagt, sie
habe ihr Bestes getan, den Leichnam ihres Gatten zu schützen, seit er
vor einer Weile von einem Diener gefunden worden sei.
»Er hatte ein schwaches
Herz, Sir John«, hatte sie gelispelt und dabei eine zarte, weiße
Hand auf den Arm ihres »guten Vetters« Albric Totnes gelegt.
»Ein feiner Vetter!«
knurrte Cranston. »Ich wette, die zwei haben zwischen den Laken
getanzt, während Oliver im Sterben lag. Verdammte Mörderbande!«
Er wühlte in seiner Börse
und förderte einen kurzen Brief zutage, den Oliver Ingham ihm am Tag
zuvor geschickt hatte. Er setzte sich und las ihn noch einmal, und seine
großen, vorquellenden Augen füllten sich mit Tränen.
Ich sterbe, alter Freund.
Ich habe die größte Torheit begangen, die ein alter Mann
begehen kann: Ich habe eine Frau geheiratet, die vierzig Jahre jünger
ist ab ich. Eine Ehe zwischen Mai und Dezember, fürwahr, aber ich
glaubte, sie liebt mich. Ich mußte feststellen, daß sie es
nicht tut. Aber ihr Lächeln und ihre Berührung haben mir genügt.
Jetzt merke ich, daß sie mich betrogen hat und womöglich meinen
Tod plant. Wenn ich plötzlich sterbe, alter Freund, und wenn ich
allein sterbe, dann wurde ich ermordet. Meine Seele wird zu Gott um Rache
schreien und zu Dir um Gerechtigkeit. Vergiß mich nicht.
Oliver
Cranston faltete das
Pergament säuberlich zusammen und steckte es ein. Noch hatte er es
niemandem gezeigt, aber er glaubte, daß sein Freund recht hatte.
Etwas in seinem Blut flüsterte »Mord!«, aber wie sollte
er das beweisen? Sir Oliver war am
Vormittag von einem Diener tot in seinem Bett gefunden worden, und man
hatte nach Cranston geschickt, weil er sein Freund war und noch dazu der
Coroner. Bei seiner Ankunft hatte er Inghams junge Frau Rosamund zusammen
mit ihrem »Vetter« auf dem Söller beim Essen vorgefunden,
und der Arzt der Familie, ein kahlköpfiger, frettchengesichtiger Mann
in stinkenden Gewändern, hatte schlicht erklärt, Sir Olivers
schwaches Herz habe versagt und seine Seele sei zu Gott gegangen.
Cranston stand auf und ging
wieder zum Bett; dort lag noch immer der Krug, den Oliver im Todeskampf
vom Tisch gestoßen hatte. Auf sein Drängen hatte der Arzt
zuerst am Krug, dann an Olivers liebstem Becher geschnuppert und feierlich
verkündet:
»Nein, Sir John. Nichts
als Rotwein und vielleicht ein bißchen von dem Fingerhut, den ich
Sir Oliver zur Kräftigung des Herzens verschrieben habe.«
»Könnte jemand
mehr davon hineingetan haben?« hatte Cranston gefragt.
»Natürlich nicht!«
war die schroffe Antwort gewesen. »Was wollt Ihr damit andeuten, Sir
John? Eine größere Dosis Fingerhut, und Becher und Krug würden
danach stinken.«
Sir John hatte sich gefügt
und nach Theobald de Troyes geschickt, seinem eigenen Arzt - einem Mann,
der sich auf seine Kunst verstand und so viele bei Hofe zu seinen
Patienten zählte. Theobald hatte Leichnam, Becher und Krug auf das gründlichste
untersucht.
»Der Arzt hat recht«,
hatte er schließlich gesagt. »Wißt Ihr, Sir John, wenn
Sir Oliver zuviel Fingerhut abbekommen hätte, würde sein
Leichnam Spuren davon aufweisen. Aber ich kann nur die Wirkung eines plötzlichen Anfalls entdecken,
und der Becher enthält nichts als Spuren von Wein und ein wenig
Fingerhut, aber nicht mehr, als ein guter Arzt verschreiben würde.
Der Krug riecht auch nicht nach Fingerhut.«
»Irgendwelche Spuren
von Gewalt?« hatte Cranston gefragt.
»Nicht die geringsten,
Sir John.« Theobald hatte den Blick gesenkt. »Nur die
Rattenbisse an den Fingern der rechten Hand, Sir John. Als Sir Oliver
gestern abend zu Bett ging, fühlte er sich nicht wohl. Seine Diener hörten,
wie er über Schwäche, Schwindel und Schmerzen in der Brust
klagte. Er schloß seine Kammertür ab und ließ den Schlüssel
im Schloß stecken. Die Fenster waren mit
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