Der Zorn Gottes
Vorhängeschlössern
gesichert. Niemand konnte hinein, um ihm etwas anzutun.«
Sir John hatte gegrunzt und
ihn verabschiedet. Nun saß er seit zwei Stunden in diesem Gemach und
fragte sich, wie der Mord begangen sein mochte.
»Ich wünschte,
Athelstan wäre hier«, seufzte er. »Vielleicht würde
er wissen, was hier nicht stimmt. Der verdammte Mönch! Und ich wünschte,
er würde den verflixten Kater mitbringen!«
Cranston dachte an Athelstans
wild aussehenden Kater Bonaventura, den sein Freund und Sekretär für
den besten Rattenfänger von ganz Southwark hielt. Cranston seufzte,
bekreuzigte sich, senkte den Blick und sprach ein Gebet für den
Toten.
»Gewähre meinem
Freund Oliver die ewige Ruhe«, murmelte er, und seine Gedanken
wanderten um Jahre zurück… Groß und stark stand Oliver
an seiner Seite, als die französischen Ritter die Reihen der Engländer
bei Poitiers durchbrachen. Das Schlachtgetöse, das Wiehern der
Streitrösser, das Klirren der Schwerter, das leise Schwirren der
Pfeile, das Stechen und Hacken, als sie und ein paar andere die ganze
Wucht eines letzten Verzweiflungsangriffs der Franzosen auffingen. Der
Boden unter ihren Füßen war glitschig vom Blute. Cranston stand
breitbeinig da und ließ sein Schwert kreisen wie eine mächtige
Sense, als die französischen Ritter zum letzten Schlag herandrängten.
Ein ungeheurer Riese stürmte
auf ihn zu; sein Helm hatte die Form eines Teufelskopfes mit breit
geschwungenen Hörnern, und die gelbe Feder wogte im Abendwind.
Cranston sah stahlumhüllte Arme mit einer gewaltigen Streitaxt
ausholen; er sprang beiseite, glitt aus und fiel in den Schlamm. Er
erwartete den tödlichen Hieb, aber da stand Oliver über ihm,
fing die Wucht der Axt mit seinem Schild auf, griff dann den Feind an und
stieß ihm seinen kleinen Hirschfanger zwischen Küraß und
Helm.
»Ich schulde dir mein
Leben«, hatte Cranston später bekannt.
»Eines Tages wirst du
die Schuld zurückzahlen können!« Oliver hatte gelacht, als
sie auf dem Schlachtfeld saßen und einander mit zahllosen Bechern
von dem Rotwein zuprosteten, den sie aus dem französischen Lager
geraubt hatten. »Eines Tages wirst du diese Schuld zurückzahlen.«
Cranston öffnete die tränennassen
Augen. Er hob seine rechte Hand und schaute den Toten an. »Verflucht,
das werde ich!« knurrte er. Und noch einmal betrachtete er die
erbarmungswürdige Gestalt in dem Leichentuch.
»In unseren goldenen
Tagen«, flüsterte er, »da waren wir Greyhounds auf der
Jagd! Junge Falken, die auf ihre Beute niederstießen! Ah, was für
Zeiten!«
Cranston klopfte sich auf den
umfangreichen Wanst, zog die Bettvorhänge zu und stapfte aus der
Kammer; im Gehen warf er noch einmal einen Blick auf das aufgebrochene
Schloß.
Wie ein Koloß stampfte
er die Treppe hinunter und marschierte in den Söller, wo Lady
Rosamund und ihr »Vetter« Albric auf der Fensterbank saßen
und das Maschenspiel spielten. In ihrem schwarzen Damastkleid mit dem
sorgfältig geordneten Schleier von gleicher Farbe sah Rosamund jetzt
noch schöner aus; ihr schmales Gesicht war zu einer Art Trauermiene
verzogen. Cranston funkelte sie nur an, und noch verächtlicher
betrachtete er ihren jungen Liebhaber mit seinem glatten Gesicht, den
schlaffen Lippen und dem kraftlosen Blick.
»Ihr seid fertig, Sir
John?« Rosamund erhob sich, als der glatzköpfige, rotgesichtige
Riese auf sie zukam. Sie erwartete, daß er zumindest ihre Hand küssen
würde, aber Cranston packte sie und Albric bei den Handgelenken, zog
beide von der Bank und mit harter Hand dicht zu sich heran.
»Ihr, Madam, seid ein
mordendes Miststück! Nein, Ihr braucht nicht die Augen aufzureißen
und um Hilfe zu schreien! Und Ihr, Sir…« Albric wich seinem
Blick aus. »Sieh mich an, Kerl!« Cranston drückte noch
fester zu. »Sieh mich an, du mieser Hurensohn!«
Albric hob den Blick.
»Du hast mitgemacht.
Wenn du den Mut dazu hättest, würde ich dich zu einem Duell
herausfordern und dir den Kopf abschlagen. Vergiß nicht, das Angebot
wird bestehenbleiben.«
»Sir John, das ist doch
…«
»Klappe!« grollte
Cranston. »Da oben liegt der treueste Kamerad, den ein Mann sich nur
wünschen kann. Ein guter Soldat, ein
schlauer Kaufmann und der allerbeste Freund. Oliver mag ein schwaches Herz
gehabt haben, aber er hatte den Mut eines Löwen und den Großmut
eines
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