Der Zorn Gottes
setzte sich neben sie auf
die Bettkante, und sie hielt seine Hand, während er den Wein
schluckte; seine Finger waren kalt wie Eiszapfen.
»Eleanor?« Er
starrte über den Becherrand. »Was sollen wir tun? Ist sie
besessen? Hat irgendein Dämon von ihrer Seele Besitz ergriffen?«
Eleanors scharfe Augen
flackerten verachtungsvoll. »Sie lügt und verstellt sich!«
versetzte sie. »Deine Tochter hat sich mit einer eingebildeten
Krankheit ins Bett gelegt.« Sie wischte ihrem Mann den Schweiß
von der Stirn. »Walter, sie täuscht dich. Sie spielt ein übles
Spiel mit dir.«
»Wie kann das sein?«
antwortete er. »Du hörst doch das Klopfen. Ich habe ihre Hände
beobachtet. Sie liegen auf der Decke. Wie soll sie das einfädeln, hm?
Und wie bringt sie den gräßlichen Geruch zustande und die
Stimme? Ich habe ihr Zimmer durchsucht, als sie schlief. Ich kann nichts
finden.«
»Wenn das so ist«,
sagte Eleanor scharf, »dann ist sie besessen und gehört
zusammen mit dieser alten Hexe, ihrer Amme, an einen anderen Ort. In ein
Spital, oder in ein Haus für Irrsinnige. Oder…«
»Oder?« fragte er
hoffnungsvoll. »Wenn das stimmt, wenn der Geist ihrer Mutter
wirklich zurückkommt, dann muß es ein verkleideter Dämon
sein, der solche Lügen ausspuckt. Dann müssen sie und die Kammer
einem Exorzismus unterzogen und gesegnet werden.«
»Aber wer kann das
übernehmen?« Eleanor entwandt seinen starren Fingern den
Weinbecher. »Pfaffen gibt es zwei für einen Penny.« Sie
legte ihm die Arme um seinen Hals und küßte ihn sanft auf die
Wange. »Vergiß diese Geister. Deine Tochter ist eine Betrügerin«,
flüsterte sie. »Und ich werde sie als Lügnerin entlarven!«
Eins
Sir John Cranston saß
auf der Fensterbank eines Schlafgemachs in einem Haus an der Milk Street
am Rande von Westchepe. Er starrte aus dem Glasfenster, das einen guten
Blick auf die Kirche von St. Mary Magdalen bot, und beobachtete einen
wohlhabend aussehenden Reliquienhändler, der seinen Stand aufbaute
und die Kunden zusammenrief. Cranston lächelte ohne Heiterkeit, als
er den Burschen krähen hörte; leise klangen die Worte von der
Straße herauf.
»Schaut her, ich habe
hier Jesu Milchzahn, den er mit zwölf Jahren verlor! Einen Finger vom
Hl. Sylvester! Ein Stück von dem Sattel, auf dem Christus nach
Jerusalem einritt. Und in dieser schön beschlagenen Kiste den Arm des
Hl. Polycarp - das einzige, was von ihm übrigblieb, nachdem die Löwen
ihn in Rom in der Arena in Stücke gerissen hatten. Ihr guten Leute,
diese vom Heiligen Vater gesegneten Reliquien können Wunder wirken
und tun es auch!«
Cranston sah, wie sich
leichtgläubige Zuschauer um ihn drängten. Ein Gauner, dachte er.
Er schaute hinüber zu dem Leichnam, der auf dem Vierpfostenbett
aufgebahrt lag, sorgsam in ein Leichentuch gewickelt; nur das Gesicht
schaute hervor, das mit offenem Mund und halb geschlossenen Augen auf dem
Kissen ruhte.
»Es tut mir leid«,
murmelte Cranston in das stille Zimmer. Er stand auf, trat an das Bett und
betrachtete das graue, eingefallene Gesicht
seines ehemaligen Kameraden.
»Es tut mir leid«,
wiederholte er. »Ich, Sir John Cranston, des Königs Coroner in
London, ein Mann, der mit Fürsten speist, der Gemahl der Lady Maude
aus Tweng in Somerset, Vater der beiden Kerlchen, meiner geliebten Söhne
Francis und Stephen, ich bin traurig, weil ich dir nicht helfen konnte.
Dir, meinem Waffenbruder, meiner rechten Hand in unseren Schlachten gegen
die Franzosen. Jetzt liegst du da, ermordet, und ich kann es nicht einmal
beweisen.«
Cranston schaute sich in dem
Schlafgemach um und betrachtete die kostbare Einrichtung: silberne Becher,
ein fein geschnitztes Lavarium, Schränke und taftgepolsterte Stühle,
seidene Kissen und Baldachine und einen Kandelaber aus Goldfiligran.
»Was nützt es
einem Mann«, murmelte Cranston, »wenn er die ganze Welt gewänne
- nur um dann von seiner Frau umgebracht zu werden?«
Er fischte zwei Pennies aus
seiner Börse und legte sie dem Toten auf die Augenlider; dann
bedeckte er das Gesicht mit dem Leichentuch. Er seufzte und ging zum Fußende
des Bettes. Als es plötzlich hinter ihm raschelte, schrak er
zusammen.
»Verfluchte Ratten!«
knurrte er, als er den geschmeidigen, langschwänzigen, fetten Nager
sah, der unter einen Schrank glitt und an der Holztäfelung scharrte.
Ein zweites Tier kam
Weitere Kostenlose Bücher