Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
Vom Netzwerk:
ständig irgendwelche Vorfälle gab. Da wurde ein Stecker gezogen, ein Rentner fiel im Rollstuhl die Treppe herunter oder einer ertrank in seiner Suppe. Das waren Beweise. Doch niemanden interessierte das. Wenn man etwas andeutete, hieß es immer nur: „Dieser süße, kleine und tattrige Rentner? Der tut doch keinem was! Der ist nur einsam.“ Aber Maximilian kannte ein paar von ihnen. Glücksspiel, Wetten und Erpressung – für Außenstehende sah es so aus, als stritten sich zwei Alte um den Nachtisch. In Wahrheit ging es um Schutzgelder und Erpressung. Ein Grund mehr für ihn, das Altenheim zu meiden.
Nachdem auch die letzte Seite der Zeitung nichts Interessantes zu Tage förderte, entschloss sich Maximilian, das Medium zu wechseln. Er holte seinen Koffer hervor, wühlte eine Weile darin herum und zog schließlich ein kleines Fernglas hervor. Mit diesem setzte er sich ans Fenster und beobachtete die Umgebung: Die Farben der Häuser verblassten grau in grau. Die Schilder der Gesundheitsdienste, Service-Stationen und Pflegedienste leuchteten wie herab gefallene Sterne und erhellten die Straßen. Maximilian versprach sich mehr von der Aussicht. Nichts los. Kaum ein Mensch zu sehen. Nur auf dem alten Pausenhof der leer stehenden Schule diskutierte eine Gruppe von Männern. Hin und wieder schrie einer von ihnen den anderen an und ein dazugehöriger Hund untermalte die Stimmlage des Mannes mit Kläffen. Mehr gab es an diesem Abend nicht zu sehen. Hinter der Straßenfassade ragten nur noch die alten Schornsteine empor. Sie hatten ausgedient, hier wurde nichts mehr gearbeitet. Früher produzierten sie Unmengen an Wolken – Cumulus-Wolken vor allem. Wenn die Mütter mit ihren kleinen Kindern vorbei kamen, erzählten sie ihnen, dass diese Schornsteine die Wolken machten, die tagsüber den Himmel bedeckten. Und das machte die Fabrik so gut, dass sie diese Wolken sogar in ferne Länder exportierte, die zu wenig davon hatten. Jetzt erinnerten die rauchlosen Schornsteine an Denkmäler. Kinder kamen hier nur selten vorbei. Keiner fragte mehr danach.
Maximilian entdeckte etwas, dass ihn interessierte.
„Schau dir das an“, sagte er zu seinem Hund. „Eine ausgesprochen gut aussehende Nachbarin!“
Er kramte seine Brille hervor, um der Dame noch mehr Schärfe zu verleihen. Sie trug ein rotes Kleid, anscheinend bekam sie Besuch. Wie sich herausstellte: ein Mann. Die beiden begrüßten sich förmlich, dann bat sie ihn ins Esszimmer. Überall brannten Kerzen, das Essen stand bereits auf dem Tisch und sie rückte ihm sogar den Stuhl heran. Obwohl man von der Entfernung kaum mehr sehen konnte, war es offensichtlich, dass die beiden sich nur schüchtern miteinander unterhielten. Vor allem der Mann wich ihr immer wieder aus und ging auf Abstand, vermutlich seine erste Verabredung.
„Du machst das völlig falsch! Geh endlich ran!“, schrie Maximilian aus dem Fenster.
Der Mann und die Frau schauten aus dem Fenster und erblickten Maximilian, der ihnen daraufhin zu lächelte und auch winkte.
Clara schreckte auf, als sie seine Stimme hörte. Warum brüllte er so? Sofort sprang sie aus dem Bett und rannte aus ihrem Zimmer. Da sie zu schnell war und erst im letzten Augenblick die Wäscheleine im Zimmer bemerkte, blieb sie daran hängen. Das Regal, an dem die Schnur befestigt war, bebte und drohte umzustürzen. Etliche Bücher fielen herunter. Dann riss die Leine und Clara stürzte mit Maximilians nasser Wäsche zu Boden – sie hoffte, dass es Kochwäsche war.
„Was machen Sie?“
„Ich habe mich nur mit den Nachbarn unterhalten! Nette Leute übrigens!“
„Himmel! Geben Sie endlich Ruhe. Sie können doch hier nicht so rumschreien!“
Maximilian schloss das Fenster und setzte sich auf die Couch. Da saß er nun, die Hände im Schoß verschränkt, die Augen weit geöffnet wie ein kleines Kind, das nicht wusste, was es falsch gemacht hatte. Sofort folgte Claras Moralpredigt: Wäsche durfte nicht im Wohnzimmer aufgehängt werden, die Nachbarn anbrüllen noch weniger. Doch Maximilian hielt sich einfach nur die Ohren zu und blickte an die Decke.
„Hören Sie gefälligst zu! Bleiben Sie einfach sitzen und machen Sie gar nichts. So gehen die Tage viel schneller rum. Haben Sie das kapiert?“
Maximilian nickte mit dem Kopf. Seine Augen zielten aber bereits auf einen knallroten Kasten auf dem Boden: den Fernseher. Obwohl Clara auf ihn einredete und nach dem Sinn forschte, nasse Wäsche im Wohnzimmer aufzuhängen, obwohl sie doch einen Trockner

Weitere Kostenlose Bücher