Der zugeteilte Rentner (German Edition)
weißt doch, ich bin eine Kämpferin. Ich lass’ mich nicht so leicht unterkriegen.“
„Gut, das ist gut. Immer schön die Fäuste hoch, so wie ich es dir beigebracht habe. Denk immer dran, du bist stark. Du kannst alles schaffen. Immer schön stark sein, das ist wichtig.“
„Schon klar!“
Ihr Vater lehnte sich im Stuhl zurück, er richtete seinen dunklen Anzug, der schon bessere Tage gesehen hatte: Die Kragen waren abgerieben, der Stoff leicht fleckig. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, bekam der Anzug eigenartige Falten, als wollte er auf seine missliche Lage aufmerksam machen.
Ihr Vater lehnte sich über die Stuhllehne und schaute sich im Raum um.
„Hat sich einiges geändert, seit ich das letzte Mal hier war.“
Ein paar Frauen, die in der Nähe an einem Tisch saßen, lächelten ihm zu. Ihr Vater grinste und versuchte auch gleich sein Lächeln vor Clara zu verbergen. Dann wandte er sich ihr zu, packte ihre Hände und hielt sie in seinen.
„Hör mal! Ruf mich nicht so oft an. Zur Zeit ist das alles nicht so einfach. Rosa ist sehr eifersüchtig.“
Er blickte sich um, einmal links, einmal rechts, dann starrte er auf seine Hände und fuhr fort: „Mit Früher habe ich abgeschlossen. Das war eine unglückliche Zeit. Wenn ich nur an deine Mutter denke. Oh, Gott! Sorry! Tut mir leid! Du gehörst auch zu dieser Welt. Ich kann das nicht. Ich weiß, ich bin dein Vater. Ich bin bestimmt der schlimmste Vater. Und ich verstehe das auch. Wenn du mich hasst –“
„Ich hasse dich nicht!“
Für einen Augenblick fehlten ihm die Worte. Clara wusste, dass er sich den Hass und die Wut wünschte. Dann könnte er sich mit einer Ausrede zurückziehen: Meine Tochter hasst mich, ich kann nicht anders. Aber so erschwerte sie es ihm.
„Na ja, ich würde es jedenfalls verstehen. Aber“, er holte tief Luft. „Bitte melde dich nicht so oft. Zumindest eine Zeit lang. Wenn es nicht etwas Lebenswichtiges ist. Oder so.“
Er schaute kurz auf, ihre Blicke trafen sich, sofort senkte er seinen Kopf, spielte mit dem Schlüssel, steckte ihn hastig ein, griff in seine Tasche und zog letztendlich einen Briefumschlag heraus, den er eiligst auf den Tisch warf, so als wäre er heiß oder fettig oder beides. In der linken oberen Ecke prangerte das Signet einer Bank. Ein sauberes weißes Papier. Und dennoch wirkte es schmutzig und bazillenverseucht.
„Geld?“
„Es ist nicht viel, ich weiß, aber … Ich habe jetzt eine neue Familie. Ich kann das nicht. Versteh’ das. Bitte.“
Doch Clara schob den Umschlag wieder zurück. Ihr Vater besaß meist weniger als sie.
„Ich brauche kein Geld!“
Sie brachte die Worte nur langsam heraus, fast weigerte sie sich, das zu sagen. Denn natürlich benötigte sie Geld, ständig. Aber ihrem Vater die letzten Scheine zu entlocken, erschien ihr nicht nur unmoralisch, es schmerzte sie sogar.
Zuerst zögerte ihr Vater, langsam zog er den Umschlag heran und ließ ihn dann plötzlich und ganz schnell verschwinden. Dann stand er auf, zog seinen Schlüssel aus der Tasche und ging.
Befristung und Tod
Feierabend. Kurz nach fünf. Genug für einen Tag. Aschenbach stand von ihrem Schreibtisch auf, legte ihren Stift in die dafür vorgesehene Box und diese wiederum mit dem Tacker, dem Locher und einem exakt dreißig Zentimeter langen Lineal in die zweite Schreibtischschublade von oben. Anschließend schloss sie ab, schaltete den Computer aus, der erst noch ein paar Sekunden brauchte, um herunter zu fahren, stellte den Stuhl an den Tisch und zog sich ihre Jacke an. Eine geometrisch perfekte Ordnung beherrschte den Raum. Papier verwendete sie nur selten, die meisten Unterlagen befanden sich in digitaler Form im Rechner. An den Wänden hingen nur ein paar Südsee-Insel-Poster. Die Bilder klammerten sich an die Reißzwecken, die wiederum die Papierecken festhielten. Ein Foto-Kalender hing daneben, bereits drei Jahre alt, zeigte zwei Menschen am Strand. Sie lachten und umarmten sich, unter ihnen ragte das Logo des Reiseveranstalters ins Bild: „Lucky, Love & Friends, Reisen GmbH“. Obwohl sie sich regelmäßig Bilder und Filme von Urlaubsländern ansah, lag ihr letzter Urlaub lange zurück. Der letzte an den sie sich erinnerte, hatte sich furchtbar entwickelt: Sie buchte Vollpension, Vier-Sterne-Hotel, Pool, Bar, mehrere Restaurants; alles, was dazu gehörte. Aber sie reiste allein. Jeden Morgen, wenn sie sich vom Frühstücksbuffet etwas holte und sich dann an ihren Tisch setzte, spürte sie die Blicke der anderen
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