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Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Der zugeteilte Rentner (German Edition)

Titel: Der zugeteilte Rentner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Schulte
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Pauschaltouristen. Vor allem die jungen Pärchen musterten sie und tuschelten dann: „Die ist wohl alleine hier. Ein Single. Kuck mal wie fett die ist. Allein wollte ich keinen Urlaub machen. Die ist doch den ganzen Tag am Pool. So einen Urlaub kann man sich sparen.“
Außer mit dem Kellner, den sie jeden Morgen mit ihrem bruchstückhaften Spanisch irritierte, wechselte sie mit niemandem während den zwei Wochen ein Wort. Sie dachte, sie wäre schon autistisch geworden. Sobald sie jemanden ansprach, bekam sie Angst zu stottern oder eigenartige, glucksende Geräusche von sich zu geben. Manchmal redete sie mit sich selbst, nur um sicher zu gehen, dass sie es noch beherrschte. Dann stand sie vor dem Spiegel und beobachtete ihre Lippenbewegungen: „Buenos dias, senora!“. Nach dem dritten Facelifting war ihr Lächeln jetzt noch schöner. Sie betrachtete sich gern im Spiegel. Dann fühlte sie sich nicht so einsam. Nie wieder alleine Urlaub – das hatte sie sich vorgenommen. Und dabei blieb es auch.
Durch das Fenster fiel das Abendlicht und gab dem kleinen, grauen Büro etwas Wärme. Es war ihr Glücksfenster. Hier konnte sie ein paar Pflanzen aufstellen und mehrmals am Tag dem Treiben auf der Straße folgen. Am glücklichsten machten sie Unfälle. Noch besser fand sie Feuerwehreinsätze oder die polizeiliche Zerschlagung einer Demonstration. Gegenüber hatte es einmal gebrannt, ein guter Grund für Überstunden. Nur ohne Kollege machte das nur halb so viel Spaß. Früher war das anders gewesen. Im Großraumbüro, in dem sie gearbeitet hatte, redeten, telefonierten und schrieen alle durcheinander. Als ihr Chef feststellte, dass sie mit anderen Kollegen nicht harmonierte, bekam sie ein Einzelbüro zugewiesen – aber zuerst entfernten sie das alte Schild – „Lager“.
Aschenbach ging zur Tür, löschte das Licht, lief noch einmal zum Schreibtisch zurück, um sicher zu gehen, dass der Computer tatsächlich ausgeschaltet war, dann kam sie zurück, prüfte noch einmal den Lichtschalter, an, aus, an, aus und trippelte schließlich aus dem Büro.
Ihre Wohnung lag etwas außerhalb der Stadt. Dort kosteten die Wohnungen weniger, ebenso die Parkplätze, obwohl sie kein Auto besaß. Sechzehnter Stock, rechte Seite, dort befand sich ihr Apartment. Es lag versteckt zwischen einem Dutzend Hochhäuser, ganz gleich, aus welchem Fenster sie blickte, sie sah immer eins dieser Häuser. Wie überdimensionale Ameisenbauten streckten sich in die Höhe. Kleine winzige Insekten liefen jeden Tag rein und raus. Es hörte gar nicht mehr auf. Nur in den Schluchten dazwischen fand sich ein kleiner schattiger Park mit einem noch kleineren Kinderspielplatz. Doch man überhäufte ihn mit Müll, so dass keine Kinder hierher kamen, nicht einmal die wenigen, die in den angrenzenden Häusern lebten.
Aschenbach beklagte sich nicht. Ihr Apartment war verhältnismäßig groß, immerhin 50 m2, für nur eine Person. Sie hätte so gern eine Katze gehabt, aber leider reagierte sie auf jegliche Haustiere allergisch – selbst auf die allergiefreien Katzen, die hierfür gezüchtet wurden. Das hielt sie aber nicht davon ab, die Wände mit zahlreichen Tierpostern, -postkarten und -aufklebern zu bedecken: süße Kätzchen im Korb, ein Eichhörnchen auf dem Baum, ein Hund, der mit einem Ball spielte, ein Pferd, das in den Sonnenuntergang galoppierte, ein Hamster mit einer überdimensionalen Schleife um den Hals und Hunderte anderer Motive.
Eine Beziehung führte sie nicht. Natürlich gab es einige Männer in ihrem Leben, man konnte auch nicht behaupten, dass sie enthaltsam lebte, aber am Ende blieb keiner übrig. Als sie die Dreißiger erreichte, wurde alles noch stressiger, vor allem schien es, als ob die Männer ein heimliches Abkommen getroffen hätten, sich weder mit ihr zu binden, noch eine Ehe einzugehen. Die bindungswilligen Männer tummelten sich woanders. Der Rest: nicht erwähnenswert. Es war wie in der Schule früher. Diejenigen, die beim Sport als letztes übrig blieben, bildeten eine eigene Mannschaft – die Verlierer-Mannschaft: das dicke Kind mit der Brille, der Schwächling, die Schüchterne, die Fette, der Stinker und der verzweifelte Komiker. Sie gaben die ideale Beute für Raubtiere und erfolgsverwöhnte Klassenkameraden. Vielleicht gab es die Verlierer nur, um die Sieger moralisch aufzubauen. Für Aschenbach blieb es das Gleiche. Sie befand sich in der Gruppe der Ungewollten, der Übriggebliebenen, die sich nicht einmal selbst mochten –

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