Der zugeteilte Rentner (German Edition)
nieder zu lassen. Es regnete. Aber das störte ihn nicht. Er saß einfach nur da und ließ das Wasser auf sich herabstürzen. Damit der Dackel nicht nass wurde, öffnete er seinen Mantel und bildete ein Zelt unter dem der Hund verschwand, nur zwei winzige Pfoten schauten heraus. So blieb Maximilian, eingefroren, wie eine Statue.
Clara schaute zum Himmel. Keine Sterne, kein Mond, nur eine riesige strukturierte Wolkenmasse, die sich unaufhörlich nach unten ergoss. Zuerst trafen die Tropfen die Dächer, dann versammelte sich das Wasser, bündelte seine Kraft und explodierte schließlich in Form eines Wasserfalls, der sich auf der Straße verteilte. Das war kein Wetter, um draußen zu sein, selbst die Autos blieben in ihren Garagen.
„Kommen Sie hoch!“
Mit einer für ihn ungewohnten Lebendigkeit sprang Maximilian auf, packte Hund und Koffer und lief über die Straße zurück zu Claras Wohnung. Keine zwei Minuten später schloss der alte Mann Claras Wohnungstür auf und stand vor ihr. Das Wasser tropfte an ihm herunter, er war wie ein Schwamm, den man gerade aus einem Putzeimer gezogen hatte – aber das wunderte Clara am wenigsten. In seinen Händen hielt er einen Schlüssel – für ihre Wohnung.
„Sie haben einen eigenen?“
„Ich dachte mir, ich erspare Ihnen die Arbeit, mir einen besorgen zu müssen!“
Sie glaubte es nicht, Maximilian hatte sich heimlich einen Schlüssel für ihre Wohnung nachmachen lassen – ohne sie zu fragen.
„Geben Sie ihn her!“
Zuerst zögerte er, wollte ihn nicht rausrücken, aber als Clara ihn am Ohr packte, rückte er den Schlüssel unter Protest heraus.
„Haben Sie noch einen?“
Der alte Mann kramte in den Innentaschen seines Mantels und zog einen weiteren Schlüssel hervor.
„Ich glaub’s ja nicht. Wie viele noch?“
„Ein Paar!“
In diesem Augenblick hätte sie ihn am liebsten wieder rausgeworfen, aber er machte diesen treudoofen Blick wie ein ausgesetzter Hund, der seit Tagen nichts mehr gegessen hatte.
„Sie sind sobald wie möglich weg!“
„Natürlich!“
„Sie schreien nicht aus dem Fenster, Sie verhalten sich ruhig!“
„Kein Problem!“
„Und lesen Sie lieber mal ein Buch, anstatt die ganze Zeit nur fernzusehen!“
„Ich versuch’s!“
„Hören Sie zu: Ich habe gerade ernste Probleme. Es wäre schön, wenn Sie einfach einen Gang zurückschalten und sich ruhig verhalten könnten.“
Wahrscheinlich würde er diese Unterhaltung in dem Augenblick vergessen, in dem sie ihre Zimmertür schloss. Und so geschah es kurz darauf. Sie lag kaum in ihrem Bett und hatte das Licht gelöscht, als die ersten Geräusche durch die Wand drangen und sie vom Schlafen abhielten. Anscheinend unterhielt er sich mit seinem Hund. Es war wie ein Dialog bei dem die zweite Stimme stumm geschaltet war. Sie hörte, wie er Fragen stellte und hin und wieder darüber lachte, was der Hund ihm antwortete. Dann machte er den Fernseher an. Irgendeine Rate-Show wiederholten sie. Immer dann, wenn Maximilian es besser wusste, brüllte er den Fernseher an und beleidigte die Kandidaten. Dann kam eine Werbeunterbrechung und er begann, von einem Sender auf den anderen zu zappen: Erstes, Zweites, Drittes, das zweite Dritte, das dritte Dritte, dann die ganzen Privatsender, ein paar Radiosender und wieder von vorne. Die Bässe des Fernsehers krachten. Bei jedem Umschalten machte es ein lautes hohles Bang, so als würde er auf einen Topf schlagen. Dann ging die Rate-Show weiter, ein anderer Kandidat, neue Fragen, neue Beschimpfungen.
Beschäftigte
Sie schreckte auf. Zuerst wusste sie nicht weshalb. Ein Geräusch? Maximilian? Er stand in der Küche und polterte herum, einfach so, und das um 6.30 Uhr. Sie musste aufstehen und nachsehen.
Maximilian machte zur Musik von Sting ein paar Tai-Chi-Übungen im Wohnzimmer, während der Dackel sich im Kreis drehte und seinen eigenen Schwanz anbellte. Als der alte Mann sie bemerkte, ignorierte er sie und erstarrte in einer seiner Bewegungen.
„Keiner macht heutzutage Tai-Chi! In was für einer Welt leben Sie?“
Doch Maximilian ließ sich nicht stören, er holte mit seinen Armen aus und malte etwas in die Luft, das wie eine schiefe Acht aussah. Dass er Tai-Chi ausübte war für Clara schon verwunderlich – der Zustand des Wohnzimmers noch mehr. Auf dem Boden lagen Zeitungen ausgebreitet, der Hund hatte eine Plastikfigur zerbissen, deren Körperteile sich auf dem Teppichboden verteilten; in der Küche standen die Schränke offen, das schmutzige Geschirr versperrte
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