Der zugeteilte Rentner (German Edition)
und die Gesellschaft erwartete von ihnen, glücklich zu werden und sich zu paaren. Genauso gut könnte man einem Formel-1-Rennfahrer den schlechtesten Wagen geben, ihn auf die letzte Position setzen, das Benzin rauslassen und ihm dann vorwerfen, dass er es nicht über die Ziellinie schaffte. Aber damit hatte sich Aschenbach abgefunden. Jenseits der Vierzig bremste das Leben sich von alleine aus. Kein Mann, keine Beziehung, kein Kind und auch kein Haustier – nichts störte ihr Leben und niemand erwartete von ihr, dass sie etwas änderte. Zweimal die Woche traf sie sich mit ihrer Zeichnen- und Schwimmgruppe, das reichte. Hin und wieder beklagten sie sich über ihre Situation, dann trösteten sie sich gegenseitig und machten ein paar zynische Sprüche.
Langsam ging die Sonne unter. Aschenbach musste noch die Blumen gießen, etwas aufräumen und das Geschirr spülen. Eine halbe Stunde später kam ihre tägliche Familienserie – heute: Bob kam ins Krankenhaus und Jeanette intrigierte gegen ihren Cousin – danach eine weitere Serie, dann die Nachrichten, der Film des Tages und anschließend eine Dokumentation über Krankenpfleger, die alte Menschen umbrachten. Wenn sie sich ans Fenster stellte, sah sie, dass alle anderen es ihr gleich taten. Sie blickte in hunderte Wohnungen, beobachtete hunderte Fernseher und hunderte allein lebender Menschen. Wie auf ein Zeichen, machten sie ihre Fernseher an und die Häuserfront leuchtete im Glanz ihrer Lichter. Es erwärmte ihr Herz und die Haare auf ihren Armen richteten sich auf. Am liebsten hätte sie sich von einem der Ameisentürme gestürzt.
Erziehungsrente
„Freuen Sie sich?“
Maximilian stand vor ihrer Tür, Koffer in der Linken, Hund an der Rechten.
„Sie sind wieder da?“
„Sie scheinen sich nicht besonders zu freuen.“
„Wieso sind Sie wieder hier?“
„Der zuständige Beamte war krank. Wahrscheinlich ist er nächste Woche wieder da.“
„Na und? Hätte Ihnen denn kein anderer weiterhelfen können?“
„Anscheinend nicht! Die sagten, wenn das amtlich ist, dann können Sie nichts machen. Gesetz ist Gesetz.“
Clara hätte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen können oder ihn einfach ignorieren. Aber sie wusste nicht wie.
„Wir hatten eine Abmachung! Bis Montag, nicht länger!“
Doch Maximilian zuckte nur mit den Schultern, stellte seinen Koffer ab, zog seinen Mantel aus und legte ihn über den Stuhl.
„Ich hab’s versucht!“
„Wahrscheinlich waren Sie nicht einmal dort!“
„Ich hab’ sogar vier Stunden gewartet! Angebrüllt habe ich die: Das könnt ihr mit der jungen Frau nicht machen. Nichts.
Denken Sie, das interessierte die?“
„Das ist egal! Montag haben wir gesagt! Montag!“
„Ich wollte doch gehen, oder? Habe ich meine Sachen gepackt, oder nicht? Oder wollen Sie behaupten, dass ich lüge?“
Natürlich hatte er seine Sachen am Morgen genommen und sich verabschiedet, aber warum sollte sie für alles zuständig sein? Warum klingelte er nicht einfach an einer anderen Tür und verbrachte dort seine Zeit? Zuerst die Probleme mit ihm, dann mit Finn, dann mit der Uni und jetzt kehrte er zurück. Das war zuviel, sie brauchte Zeit, um sich ihrer Probleme zu widmen, ihr Leben in Ordnung zu bringen und sich ein neues Heim zu schaffen. Dafür benötigte sie keinen alten Mann, der ihr wie ein Kind am Bein hing.
„Bis Montag hatten wir gesagt!“
Doch Maximilian saß bereits auf der Couch, fing an, etwas sagen zu wollen, doch dann brach er ab, ließ die Arme hängen und schaute auf den Boden. Schließlich stand er auf, nahm seine Sachen und ging zur Tür heraus. Leise schloss sie die Tür hinter ihm ab. Jetzt war sie auch noch ein schlechter Mensch, einfach so einen alten Menschen vor die Tür gesetzt. Im Flur hörte sie das Klicken des Lichtschalters, dann kam der Aufzug, die Tür öffnete sich, jemand stieg ein, der Aufzug fuhr nach unten.
So einfach war das. Ein paar strenge Worte, die Arme in die Seite gestemmt und bloß nicht nachgeben. Zum ersten Mal funktionierte das. Das musste sie öfters ausprobieren. Und trotzdem schmerzte ihr Magen, als schnürte ihn jemand wie ein Päckchen zusammen, inklusive Schleife. Was hätte sie tun sollen? Ihn bei sich behalten? Jetzt ging es darum, ihr Leben zu ordnen. Sie musste mit Finn reden oder mit Zoe, sie brauchte jemanden, mit dem sie sprechen konnte.
Als sie aus dem Fenster schaute, erblickte sie Maximilian. Er trottete mit seinem Dackel über die Straße, um sich schließlich auf einer Treppe in der Nähe
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