Der zweite Gral
starrten ihn mit großen Augen an, rührten sich aber nicht. Sie waren gefesselt und geknebelt und lagen eng an eng wie Ölsardinen in einer Dose.
Vier der Männer bluteten – einer am Arm, drei an den Beinen. Kulundu verspürte kein Mitleid. Wildererbanden wie diese schlachteten rücksichtslos Elefanten ab, um das Elfenbein außer Landes zu schmuggeln. Diese Verbrecher hatten es nicht besser verdient. Dennoch holte Kulundu seinen Medizinkoffer aus der Cessna und verarztete die Männer, damit ihre Wunden sich nicht entzündeten.
Als er fertig war, gesellte er sich wieder zu Carl Tombe, der auf der Frontstoßstange des Lkw saß und noch immer damit beschäftigt war, das Elefantenbaby zu futtern. Es nuckelte eifrig an der Milchflasche und strich dem Wildhüter dabei unermüdlich mit dem Rüssel über den Kopf.
Kulundu lächelte. Er wusste, dass Elefantenkälber Körperkontakt benötigten, sonst fraßen sie nicht. Trotz ihrer Größe und scheinbaren Robustheit brauchten sie Zuwendung und Zärtlichkeit, wie alle Babys.
»Ziemlich merkwürdig, nicht wahr?«, sagte Carl. »Fünf Wilderer gefesselt in ihrem eigenen Laster.«
»Allerdings.«
»Irgendjemand scheint ziemlich sauer auf die Typen gewesen zu sein.«
»Das sehe ich auch so.«
»Hast du schon diese Medaille gesehen?«
»Welche Medaille?«
»Die auf dem Fahrersitz.«
Da sein Kollege keine weiteren Erklärungen gab, stieg KobeKulundu ins Führerhaus. Auf dem abgewetzten Beifahrersitz lag ein handtellergroßes, kreisrundes Stück Metall, das im aufgehenden Sonnenlicht silbern schimmerte. Tatsächlich, es war eine Medaille. Oder eine Münze. Kulundu nahm sie in die Hand und stellte fest, dass sie erstaunlich schwer war. Als er sie näher betrachtete, bemerkte er ein Zeichen auf dem Metall, eine Art plastische Ausarbeitung, ein Relief, das irgendwie alt wirkte. Es zeigte eine Rose, die sich mit einem Schwert kreuzte. Kobe Kulundu hatte so etwas noch nie gesehen.
»Was hat das zu bedeuten?«, murmelte er vor sich hin.
4.
Einen Tag später in Livingstone, Sambia
300 Kilometer nordöstlich des Moremi-Reservats
D as Taxi hielt röchelnd vor dem Eingang des Royal Livingstone, des besten Hotels in der Gegend. Es lag etwa acht Kilometer außerhalb der Stadt in unmittelbarer Nähe der Victoria-Wasserfälle. Dies machte das Hotel für betuchte Touristen überaus attraktiv. Urlauber aus aller Welt strömten hierher, weil man das gewaltige Naturschauspiel der Victoriafalle nirgends besser beobachten konnte. Auf einer Breite von gut anderthalb Kilometern stürzten die Wassermassen des Sambesi mehr als hundert Meter tief in einen nur fünfzig Meter breiten Erdspalt. Auf der gegenüberliegenden Klippe zu stehen und das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen, während man von einer Wolke aus Wasserdunst und feiner Gischt umhüllt wurde, war eine beeindruckende Erfahrung. Nicht umsonst wurden die Wasserfälle von den Eingeborenen Mosioa-Tunya genannt, donnernder Rauch.
Emmet Walsh gab dem Taxifahrer einen Geldschein und stieg aus. Er war fünfundfünfzig Jahre alt, groß und schlank. Die freundlichen, dennoch wie in Stein gemeißelten Gesichtszüge wurden von einem weißen, kurz gehaltenen Vollbart umrandet, der in eine ebenso weiße Kurzhaarfrisur überging. Seine schmalen Lippen und die dunklen Augen verrieten Entschlossenheit. Seine ganze Erscheinung verströmte die Aura natürlicher Autorität.
Zu seiner legeren, jedoch eleganten Stoffhose trug er schwarze Lackschuhe, dazu ein weißes, am Kragen aufgeknöpftes Hemd. In der Hand hielt er einen Koffer. Er sah aus wie ein Geschäftsmann auf Urlaubsreise – und er wusste, dass er diesen Eindruck erweckte. Schließlich war es Teil seiner Tarnung.
Auf der Fahrt hierher hatte er überlegt, ob er das ausgefallene Angebot des Hotels annehmen und sein Dinner direkt an den Klippen der Wasserfälle einnehmen solle. Nun aber entschied er sich dagegen, denn er war müde. Er wollte nur noch schlafen.
Das Taxi fuhr davon, und Emmet Walsh betrat das Hotel. Der Rezeptionsbereich wurde von einem sonnigen Hof mit Brunnen umschlossen. In der Luft lag das angenehm würzige Aroma des angrenzenden Kräutergartens.
Walsh durchquerte die mit Säulen geschmückte Lobby und fragte den Portier, ob Nachrichten für ihn eingegangen seien. Das war nicht der Fall. Walsh dankte dem Mann, lehnte jedoch ab, als er einen Träger herbeiwinken wollte. Der Koffer war tabu.
Er ließ sich seinen Schlüssel geben und kaufte eine Tageszeitung. Dann
Weitere Kostenlose Bücher