Der zweite Kuss des Judas.
jedoch belanglosen Vorfalls während einer Messe, die Signora Mangiafico selbst bestellt hatte, um Gnade für die Rückkehr ihres Mannes zu erflehen.
Wir baten die Signora, die Kleidung untersuchen zu dürfen, die Patò getragen hatte, als er sich zu seinem Auftritt im Passionsspiel auf den Weg machte; wir wollten sie sorgfältig in Augenschein nehmen, um eventuelle Spuren, zum Beispiel Briefe, zu finden, die irgendwie dazu beitragen könnten, Licht in sein Verschwinden zu bringen. Darauf antwortete die Signora wie folgt: Die Kleider ihres Ehemannes habe ihr niemand gebracht. Wir waren nämlich der Überzeugung gewesen, dass Patò bei seinem Verschwinden noch das Kostüm des Judas getragen und daher jemand seine Kleidung später bei der Signora abgegeben hatte.
Daraufhin suchten wir Dekan Don Spiridione Randazzo auf
und fragten ihn, ob er etwas über den Verbleib von Patòs Kleidung gehört habe, doch er wusste nichts, auch nicht, wer sie an sich genommen haben könnte. Um diese Angelegenheit zu klären, gingen wir in den Palazzo Curtò di Baucina.
Dort führte uns der Marchese in den großen Lagerraum, den er den Herren Schauspielern freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, und erklärte wie folgt: Er habe genannten Lagerraum mithilfe dicker, von Wand zu Wand gespannter Schnüre, an denen Leintücher hingen, in zahlreiche kleine Kammern aufteilen lassen, sodass der einzelne Schauspieler beim Auskleiden ein wenig gegen die Blicke der anderen geschützt war. Jede Kammer sei mit einem Stuhl und einem Tischchen ausgestattet gewesen, auf dem auch eine kleine Petroleumlampe stand. Am Morgen der Aufführung begab sich Don Gesuino Albanese, Kaplan bei Don Spiridione Randazzo, in das Lager und schrieb auf einen Zettel, der an jedem Tuch befestigt war, den Namen der Person, für die die jeweilige Kammer reserviert war. Und auf das Tischchen in jeder Kammer legte Don Gesuino Albanese alles, was der einzelne Schauspieler brauchte: Kostüm, Perücke, Stock usw. Marchese Curtò di Baucina erklärte uns, man habe beim Abbau der Vorrichtungen im Lager, den er persönlich überwacht habe, nichts gefunden, was Patò betreffe. Die diesem vorbehaltene Kammer sei völlig leer gewesen, ohne jedes Kleidungsstück oder sonstige Gegenstände. Don Gesuino Albanese, den wir gleich darauf aufsuchten und befragten, erklärte, dass er die Kammer von Antonio Patò, als er nach der Aufführung ins Lager gegangen sei, um die Kostüme und die Requisiten in Ordnung zu bringen, vollkommen leer vorgefunden habe, abgesehen von Tisch, Stuhl und Petroleumlampe.
So hielten wir es, da inzwischen Abendessenszeit war, für günstig, alle Schauspieler einer Befragung zu unterziehen, und gingen von Haus zu Haus. Dabei erfuhren wir Folgendes:
Keiner der Schauspieler hat Patò, nachdem er in der
Versenkung verschwunden war, noch einmal gesehen. Keiner der Schauspieler hat die geringste Ahnung, wo Patòs Kleider und Schuhe hingekommen sein könnten. Buchhalter Lo Forte - er hatte Patò gesucht, nachdem dieser sich zur Entgegennahme des Applauses nicht neben ihm aufgestellt hatte (siehe vorherigen Bericht) - erklärte wie folgt:
Es sei ihm wieder eingefallen, dass Patò, als er das JudasKostüm in seiner Kammer anzog, einen Jutesack bei sich gehabt habe, der nur wenig gefüllt oder leer war, genau wisse er das nicht mehr.
Natürlich war auch von diesem Sack keine Spur zu finden. Die Tatsache, dass weder das Judas-Kostüm noch die Zivilkleidung von Patò zu finden ist, wirft einige Fragen auf, die sich wie folgt zusammenfassen lassen: Wurde Patò verschleppt, als er noch das Judas-Kostüm trug? Wenn ja, wer hat in diesem Fall seine Zivilkleidung entwendet? Und warum?
Wurde Patò gezwungen, sich umzuziehen, bevor man ihn wegbrachte? Wenn das so ist, muss der Überfall auf Patò innerhalb der gut zwanzig Minuten stattgefunden haben, die zwischen dem Öffnen der Versenkung und dem Ende der Aufführung lagen. Aber wenn es so war, warum hielten es die Angreifer dann für notwendig, auch das Judas-Kostüm mitzunehmen, das ebenfalls unauffindbar ist? Heute ist in dem palermitanischen Tagblatt »La Gazzetta dell'Isola« ein Brief des Abgeordneten Gaetano Rizzopinna erschienen, in dem wir aufgefordert werden, die Spuren der vermuteten Veruntreuungen in der Filiale der Banca di Trinacria zu Gunsten der persönlichen und politischen Interessen eines sehr bekannten Politikers zu verfolgen. In diesem Zusammenhang soll, nach Meinung
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