Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Kuss des Judas.

Der zweite Kuss des Judas.

Titel: Der zweite Kuss des Judas. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
geliehen haben. Bitte kommen Sie morgen Früh in mein Bureau.
    Der Direktor der Filiale (Antonio Patò)
    Anlage 3
      Wir erlauben uns, einige aus dem Verhör des genannten Gerlando Ciaramiddaro sich ergebende nähere Angaben und Schlussfolgerungen hinzuzufügen. Bereits am 20. d. M. hatte der Commissario nach dem Streit zwischen Ciaramiddaro und Patò im Bureau des Letzteren den Polizeibeamten Giuseppe Ferruzza beauftragt, Ciaramiddaro fortwährend zu beobachten und ständig zu überwachen.

      Das hat Ferruzza gewissenhaft getan; er versichert, das Objekt immer im Auge behalten zu haben. Insbesondere während der Theateraufführung. Da stolperte plötzlich ein Kind, das zwischen den Leuten hindurchlief, über Ferruzzas Füße und fiel hin, es hatte sich wehgetan und fing an zu weinen. Der Polizeibeamte Ferruzza bückte sich, um dem Kind aufzuhelfen, beruhigte es und übergab es den Eltern. Als er auf seinen Beobachtungsposten zurückkehrte, konnte er Ciaramiddaro nirgendwo sehen. Beunruhigt suchte er ihn überall auf dem Platz, als er ihn die nahe Osteria verlassen und sich die Hose richten sah. Dann nahm er seinen Posten wieder ein. Das alles geschah, eine halbe Stunde bevor Patò in der Versenkung verschwand. Außerdem kann der anonyme Brief nicht von Ciaramiddaro verfasst worden sein, denn bei ihm handelt es sich um einen halben Analphabeten, wo doch der Brief, wenn auch mit aus einer Zeitung ausgeschnittenen Buchstaben, von jemandem verfasst zu sein scheint, der der italienischen Sprache mächtig ist.
    Ciaramiddaro wurde auf dem Kommissariat festgehalten, und wir begaben uns in die Filiale der Banca di Trinacria, wo wir den Hauptkassierer, jetzt Stv. des Filialdirektors, Buchhalter Vitantonio Tortorici um die Bestätigung dessen baten, was Ciaramiddaro bei seinem Verhör behauptet hatte. Buchhalter Tortorici schickte voraus, über die Gründe für den Streit zwischen Patò und Ciaramiddaro nicht im Bilde zu sein, und bestätigte voll und ganz die erfolgte Rückzahlung des Betrages von Lire 280 durch Letzteren am Achtzehnten des Monats.
      Doch er versicherte, nichts von dem Brief zu wissen, den Patò Ciaramiddaro tags darauf geschickt hatte. Der Bote der Filiale, Giovanni Mamò, hat uns gegenüber erklärt, am Morgen des 19., als die Filiale gerade geöffnet hatte, habe Patò ihn in sein Bureau gerufen und ihm einen Brief gegeben, den er Ciaramiddaro überbringen solle. Das hat Mamò unverzüglich getan. Mehr weiß er nicht. Aus all diesen Gründen mussten wir Ciaramiddaro wieder auf freien Fuß setzen.
      Unter diesen Umständen dünkt uns das Verhalten des verschwundenen Patò gegenüber Ciaramiddaro ziemlich obskur.
      Ehrerbietig machen wir die hochwerten Herren darauf aufmerksam, dass das Schreiben an Ciaramiddaro einige Merkwürdigkeiten aufweist.
      Es wurde nicht auf einem Briefbogen mit Briefkopf der Banca di Trinacria verfasst, sondern auf irgendeinem Zettel. Es trägt kein Datum.
      Möglicherweise handelt es sich auch um ein Schreiben, das von einem früheren Zeitpunkt stammt und das Ciaramiddaro zum jetzigen Anlass vorlegt. Doch dieser Überlegung steht Mamòs Aussage entgegen. Wir haben auch die Echtheit der Unterschrift auf dem Schreiben überprüft: Der Buchhalter Tortorici hat die Unterschrift als echt erkannt.

      Die einzig mögliche Erklärung für dieses Betragen ist, dass der Erhalt des anonymen Briefes bei Antonio Patò eine Nervenkrise ausgelöst hat.
      Morgen Früh werden wir uns bei seinem Hausarzt über seinen Gesundheitszustand informieren. Hochachtungsvoll.
    G ez gez. Giummàro Bellavia

    La Gazzetta dell'Isola
    Herausgeber: Gesualdo Barreca
    Palermo, 28. März 1890
      (Mit Freude veröffentlichen wir diesen Brief, den uns Onorevole Gaetano Rizzopinna, Abgeordneter des Wahlkreises Montelusa, zugesandt hat.)

    DER FALL PATÒ

      Verehrter Herausgeber, schon zahlreiche Mutmaßungen hinsichtlich des Verschwindens von Filialdirektor Antonio Patò wurden auf mancherlei Art zum Ausdruck gebracht.

      Ich will keine dieser Mutmaßungen von der Hand weisen, bin aber doch so frei, hier Überlegungen anzustellen, die vielleicht geeignet sind, den Blick der Amtspersonen zu schärfen, die in dem Vermisstenfall ihr Bestes tun. Rasch vorausschicken möchte ich, dass meine Anschauung nicht die des - übrigens mit außerordentlicher Zustimmung - gewählten Abgeordneten Gaetano Rizzopinna von der Partei, die sich zu dieser Regierung in Opposition befindet, sondern die Meinung

Weitere Kostenlose Bücher