Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
Vom Netzwerk:
gestellt.
    »Tekla«, entgegneten Irene und Hannu gleichzeitig.
    Die beiden Tüten mit der Aufschrift H. L. landeten erst einmal auf dem Fußboden.
    Methodisch begann Tommy Tekla Olssons Hinterlassenschaft auf den Tisch zu legen.
    Ganz oben befand sich eine Strickjacke aus dünner, schwarzer Wolle. Die Motten hatten sie aus verständlichen Gründen verschmäht: Ein durchdringender Geruch von Mottenkugeln verbreitete sich im Zimmer. Anschließend zog Tommy ein paar robuste Laufschuhe aus braunem Leder und mit einem niedrigen, kräftigen Absatz hervor, ein paar größere Unterhosen aus weißer Baumwolle, ein langes weißes Nachthemd mit Stickerei am Hals, ein dünnes, ärmelloses Nachthemd aus Baumwollsatin und ein paar dicke schwarze Strümpfe.
    Irene hielt die Kleidungsstücke vor sich hin.
    »Sie war fast genauso groß wie ich und hatte dieselbe Figur«, stellte sie fest.
    Die nächste Tüte wurde auf den Stuhl gestellt. Sie wirkte interessanter, da sie einige Umschläge und Papiere enthielt. Ganz unten lagen ein paar dünne Bücher.
    »Wir teilen die Papiere unter uns auf«, schlug Tommy vor.
    Schnell verteilten sie den Inhalt der Tüte auf drei Stapel.
    »Ich gehe in mein Zimmer«, sagte Hannu.
    Er nickte und verschwand mit seinem Packen unterm Arm.
     
    Es dauerte fast eine Stunde, bis Hannu wieder auftauchte. Irene war mit ihrem Stapel fertig, und Tommy hatte nur noch einen einzigen Umschlag übrig.
    »Der kann warten. Ich habe reingeschaut. Irgendwelche Mietquittungen«, meinte Tommy.
    Er legte den Umschlag ganz oben auf seinen Stapel.
    »Wer fängt an?«, fragte er.
    »Ich kann anfangen«, sagte Irene.
    Sie begann ihre Papiere in der Reihenfolge durchzugehen, in der sie sie hingelegt hatte.
    »Ich habe hier eine Personenstandsurkunde von 1942. Sie ist auf Tekla Viola Olsson ausgestellt, geboren am 8. Oktober 1911. Als Grund für die Ausstellung ist ›Neuanstellung‹ angekreuzt. Vielleicht wurde sie 1942 von der Löwander-Klinik angestellt?«
    »Stimmt. Ich habe ihren Arbeitsvertrag«, sagte Hannu.
    »Weiterhin habe ich hier mehrere Briefe einer Freundin. Laut Absender heißt sie Anna Siwér. Die Adresse lautet Rörstrandsgatan in Stockholm. Sie schreibt meist über ihren Mann und ihr kleines Kind. Im letzten Brief vom Oktober ’46 hat sie offenbar ein weiteres Kind bekommen. Ein Mädchen. Das erste war ein Junge.«
    »Ich habe auch drei Briefe von Anna Siwér. Im ersten vom April ’43 schreibt sie: ›Mutters schwere Lungenentzündung ist deutlich besser geworden. Sie wird es auch dieses Mal wieder schaffen.‹«
    Tommy legte den Brief, aus dem er gerade vorgelesen hatte, wieder hin und nahm den nächsten.
    »Das Nächste ist eine Briefkarte. Da steht: ›Mutter schlechter. Sie fragt nach Dir. Du musst nach Hause kommen.‹«
    Tommy nahm den dritten Brief zur Hand. Er las nicht vor, sondern sah seine Kollegen direkt an.
    »Das hier ist ein langer Brief vom 1. Juni ’43. Die Mutter ist gestorben und Anna schreibt über ihre tiefe Trauer. Die ganze Zeit schreibt sie Sachen wie: ›Wir werden mit dieser Trauer schon zusammen fertig werden.‹ Und: ›Es ist schwer zu begreifen, dass wir nun keine Eltern mehr haben.‹ Ich habe das Gefühl, dass Anna Teklas Schwester war.«
    »Sie hatte keine Verwandten«, erinnerte ihn Hannu ruhig.
    Das stimmte. So weit nicht Anna Siwér und ihre Familie ausgelöscht worden waren, ehe Tekla starb. Das wirkte wenig wahrscheinlich.
    »Ich erinnere mich, dass Siv Persson sagte, sie hätte eine Cousine gehabt. Diese Cousine hätte nach Göteborg kommen sollen, um die Tasche zu holen, tauchte aber offenbar nie auf. Kann Anna Teklas Cousine gewesen sein?«, schlug Irene vor.
    »In diesem Fall scheinen sie sich ungewöhnlich nahe gestanden zu sein. In dem Brief klingt das so, als sei Annas Mama auch Teklas Mama gewesen«, sagte Tommy.
    »Ich habe die Sterbeurkunden von Teklas Eltern«, meinte Hannu.
    Er suchte nach einem Umschlag und zog zwei Papiere daraus hervor. Die vergilbten Blätter lagen nebeneinander auf dem Tisch. Aus der einen Urkunde ging hervor, dass Teklas Mutter drei Tage nach Teklas Geburt gestorben war. Tekla war das einzige Kind gewesen. Der Vater starb knapp zwei Jahre später. Er war fast zwanzig Jahre älter als die Mutter gewesen.
    »Zwei Jahre und Vollwaise. Die Ärmste«, sagte Tommy.
    »Glaubt ihr, dass sie in ein Kinderheim kam?«, fragte Irene.
    »Ich werde Anna Siwér und ihre Verwandten ausfindig machen«, entschied Hannu.
    Irene und Tommy waren dankbar

Weitere Kostenlose Bücher