Der zweite Mord
passiert?«
Jenny putzte sich mit dem Lumpen die Nase und versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen.
»Als Tobi … einer der Jungen begriff, dass du meine Mama bist … nannte er mich … Polizeispitzel. Er gab mir eine Ohrfeige und wollte die … Kapuzenjacke zurückhaben.«
Ein Seitenblick verriet Irene, dass das rot verquollene Gesicht ihrer Tochter nicht nur von den Tränen kam. Über dem Wangenknochen war eine kräftige Rötung zu erkennen, die sich sicher wunderbar blau verfärben würde.
Irene bog auf das Marconikreuz ein und fuhr dann auf den Frölunda Torg zu. Als sie auf den Platz kamen, stellte sie zufrieden fest, dass ein Streifen- und ein Mannschaftswagen mit eingeschalteten Blaulichtern neben einem schrottreifen Volvo 240 standen.
Um genau zehn Uhr öffneten sie die Tür des Reihenhauses. Irene war erleichtert, dass Katarina noch nicht zu Hause war. In ihrem benebelten Kopf hatten sich die Schleier allmählich gehoben, und ein Plan hatte Gestalt angenommen. Energisch drehte sie sich zu der steif gefrorenen und gedemütigten Jenny um und sagte:
»Schnell nach oben und unter die Dusche. Ganz heißes Wasser! Direkt ins Bett, und dann tust du so, als würdest du schlafen. Sprich nicht mit Katarina. Ich komme dann mit ein paar Butterbroten hoch.«
Jenny nickte und verschwand die Treppe hinauf. Irene warf sich selbst unter die Dusche im Erdgeschoss. Die Kleider, die sie getragen hatte, wanderten direkt in die Waschküche. Anschließend rief sie bei den Kollegen in Frölunda an und zeigte an, dass ihr Handy gestohlen worden sei. Wahrscheinlich im Einkaufszentrum Frölunda Torg, wo sie um sechs Uhr eingekauft hätte. Das sagte sie, ohne auch nur eine Spur Unsicherheit zu verraten. Der Kollege am anderen Ende versprach, ihre Nummer sperren zu lassen.
Eine Viertelstunde später ging sie mit ein paar belegten Broten und einem Becher mit heißem Tee zu Jenny hoch. Sie kam gerade aus dem Badezimmer. Nachdem Jenny ihren dicksten Flanellschlafanzug angezogen hatte, den sie für die Winterferien in der Hütte in Värmland gekauft hatte, schlüpfte sie zwischen die Laken.
Irene setzte sich auf die Bettkante und sagte:
»Über diese Sache bewahren wir Stillschweigen. Kein Wort, nicht mal zu Katarina und zu Papa. Zu niemandem!«
Jennys Augen waren rot und verquollen, und der Fleck auf dem Wangenknochen nahm bereits eine Purpurfärbung an. Stumm nickte sie.
»Wir sagen, du seist mit der Jackentasche an einem Treppengeländer hängen geblieben. Dabei sei die Jacke zerrissen. Der Riss war so groß, dass er sich nicht nähen ließ. Ich habe die Jacke weggeworfen. Die Schwellung auf der Backe kommt daher, dass du mit dem Gesicht aufs Treppengeländer geknallt bist.«
Irene unterbrach sich, weil ihr etwas einfiel.
»Deine Jacke ist im Kofferraum des Volvos liegen geblieben. Hattest du etwas in den Taschen, was man zu dir zurückverfolgen kann?«
Jenny dachte nach und schüttelte dann den Kopf.
»Nein. Mein Portmonee hatte ich in der Jeans. Die Schlüssel auch. Und außerdem war das meine alte Jacke. Sie war gerade frisch gewaschen, es steckte also nichts in den Taschen. Sie … sie haben gesagt, dass wir dunkle Kleider tragen sollen, damit man uns nicht sieht. Meine neue ist doch hellgrau, deswegen habe ich die schwarze angezogen. Ich habe geglaubt, dass wir … dass wir Plakate ankleben gehen …«
»Ich weiß, Liebes. Aber jetzt ist alles wieder gut. Du musst mir versprechen, dass du dich nicht wieder mit ihnen triffst. Besteht das Risiko, dass sie deinen Namen angeben?«
»Nein. Wir sagen nie etwas zu den Bullen! Nie!«
Die Bullenmama lächelte und strich ihrer militanten Tochter über die Wange, die sich langsam blau verfärbte.
Irene lag im Bett, als sie hörte, wie Katarina durch die Haustür schlich. Verzweifelt versuchte sie, Sammie zu beruhigen, der begeistert an ihr hochsprang. Irene hörte, wie sie zischte:
»Pst, Sammie. Du weckst noch alle! Hör auf …«
Vorsichtige Schritte waren auf der Treppe zu hören. Irene schloss die Augen und stellte sich schlafend, als ihre Tochter durch die halb offene Schlafzimmertür schaute. Offenbar war sie überzeugend, denn Katarina zog leise die Tür hinter sich zu und tappte ins Badezimmer. Irene schaute auf die leuchtenden Ziffern des Weckers. Er zeigte 23.08 Uhr.
Kaum hörbar ließ Katarina das Wasser laufen und betätigte die Wasserspülung. Sie tat ihr Bestes, um über den Fußboden des Fernsehzimmers und in ihr Zimmer zu
Weitere Kostenlose Bücher