Der zweite Mord
für diesen Bescheid. Die überlebenden Angehörigen der Familie Siwér waren damit so gut wie aufgefunden.
»Tekla hatte gute Noten vom Sophiahemmet. Nicht ganz so strahlende wie Lovisa, aber fast. Sie legte 1934 die Prüfung zur Krankenschwester ab.«
»Haben sie die Krankenpflegeschule des Sophiahemmet gleichzeitig besucht?«, wollte Tommy wissen.
»Nein. Tekla war sieben oder acht Jahre jünger als Lovisa. Da Lovisa direkt nach ihrem Examen wieder nach Göteborg ging und begann, im Krankenhaus ihres Vaters zu arbeiten, können sie sich kaum begegnet sein, ehe Tekla in der Löwander-Klinik anfing.«
»Und da waren Hilding und Lovisa bereits verheiratet«, sagte Tommy nachdenklich.
»Ja. Und zwar seit sechs Jahren.«
Irene deutete auf den Rest ihres Stapels und sagte:
»Der Rest sind überwiegend Weihnachtskarten und Urlaubsgrüße von Freundinnen. Wahrscheinlich Mitschülerinnen von der Schwesternschule.«
Tommy nickte zustimmend.
»Bei mir auch, aber ich habe tatsächlich auch zwei Briefe von einem Mann. Liebesbriefe. Beide sind vom Juli ’42. Er verzichtet auf einen Absender und unterschreibt mit Erik.«
»Ich habe Eriks letzten Brief«, sagte Hannu.
Er zog einen dünnen Umschlag aus seinem Stapel.
»Er hat mit ihr Schluss gemacht. Traf eine andere.«
»Welches Datum steht auf dem Arbeitsvertrag mit der Löwander-Klinik?«, fragte Irene eifrig.
»Erster November ’42.«
»Deswegen kam sie nach Göteborg. Die alte Leier. Eine unglückliche Liebschaft«, stellte Irene fest.
Tommy sah aus, als würde er nachdenken. Dann fragte er keinen der beiden im Besonderen:
»Ich frage mich, wo sie in Göteborg gewohnt hat?«
»Im Krankenhaus«, sagte Hannu.
Erneut blätterte er in den Papieren vor sich, ehe er fand, was er suchte.
»Anlage zum Arbeitsvertrag. Das Krankenhaus stellt ein Zimmer. Küche und Toilette sind mit drei anderen Schwestern zu teilen. Aber hier gibt es noch einen weiteren Arbeitsvertrag.«
Er zog einen dicken, weißen Umschlag ganz unten aus seinem Stapel.
»Der ist von ’44. Schwester Tekla wurde Oberschwester. Und bekam eine eigene Wohnung.«
Er blätterte in dem dicken Bündel Papiere und zog eines hervor.
»Neue Anlage. Das Krankenhaus stellt jetzt ein Zimmer mit Küche und eigener Toilette und Dusche.«
»Das klingt nach der Bereitschaftswohnung«, sagte Irene erstaunt.
»Wir müssen wieder mit deinem Doktor reden«, sagte Tommy.
»Er ist nicht mein Doktor.«
Zu ihrem Ärger bemerkte sie, dass sie rot wurde. Vielleicht litt sie ja auch unter Bluthochdruck wie Kommissar Andersson?
Tommy warf ihr einen frechen Blick zu, wechselte dann aber das Thema.
»Dann haben wir noch eine Sammlung von Gedichtbänden. Die können wir wohl beiseite legen und festhalten, dass Tekla ein Faible für Lyrik hatte. Sollen wir etwas essen, ehe wir die Tüten von Hilding durchgehen, oder erst anschließend?«
»Die Durchsicht von Teklas Sachen hat fast zwei Stunden gedauert. Ich plädiere dafür, dass wir zuerst etwas essen«, sagte Irene.
Hannu nickte.
Sie aßen ein mäßiges Bauernfrühstück in der Kantine. Die Rote Bete erinnerte eher an die unappetitlicheren Fälle des Dezernats für Gewaltverbrechen, und außerdem waren nur noch zwei beidseits gebratene Spiegeleier übrig.
Sie schaufelten das Essen in sich hinein und beschlossen, den Kaffee in ihrem Büro zu sich zu nehmen.
Alle drei setzten sich an den Schreibtisch und versuchten einen freien Fleck für ihre Kaffeebecher zu finden, was sich als ein Ding der Unmöglichkeit erwies.
»Wir müssen Teklas Sachen wieder in die Tüten tun, ehe wir uns an Hildings machen«, sagte Irene.
Nachdem sie den Kaffee ausgetrunken hatten, räumten sie den Schreibtisch ab.
»Nett, die Tischplatte wieder einmal zu sehen. Das letzte Mal war vor einigen Wochen«, sagte Tommy.
Er wuchtete eine von Hildings Tüten hoch und wollte gerade anfangen, auszupacken, als Hannu sagte:
»Könnt ihr euch die Tüten allein ansehen?«
Tommy sah ihn erstaunt an.
»Natürlich. Was hast du vor?«
»Nach Anna Siwér suchen. Oder ihren Verwandten. Und nach Teklas Totenschein.«
Hannu war bereits durch die Tür. Tommy zog viel sagend die Augenbrauen hoch. Weder er noch Irene sagten jedoch ein Wort. Man widersprach Hannu einfach nicht.
In den Tüten waren keine Kleider, sondern nur Bücher, Umschläge und Ordner. Bei den Büchern handelte es sich um Fachliteratur mit Titeln wie »Organische Chemie«, »Allgemeine Anatomie« und »Dictionnaire étymologique
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