Der zweite Mord
de la langue greque«, alle mit brüchigen, braunen Lederrücken.
»Ich weigere mich, diese Bücher zu lesen. Warum auch? Wir sollten uns lieber auf die Umschläge und die Mappen konzentrieren«, verfügte Irene. Wie schon bei Teklas Sachen teilten sie den restlichen Inhalt der Tüten auf zwei Stapel auf. Sie setzten sich an ihre Schreibtische und begannen zu lesen.
Irene lehnte sich im Stuhl zurück. Sie reckte ihre Arme, und in ihren steifen Gelenken knackte es. Anschließend betrachtete sie nachdenklich ihren Stapel Umschläge und Ordner. Sie war dabei, eine Theorie zu entwickeln.
Tommy schlug begeistert mit dem Handrücken auf eine der Mappen und rief:
»Das ist unglaublich! Ich glaube tatsächlich, dass ich etwas vollkommen …«
»Ich auch. Aber lass es uns systematisch angehen. Von Anfang an.«
»Okay. Ich habe sein Zeugnis von der Universität. Beste Noten. Aber da hieß er noch Hilding Svensson. Ein Allerweltsname. Danach hat er den Namen in Löwander ändern lassen. Das klang fescher.«
»Vielleicht. Auf der Heiratsurkunde steht, dass das Brautpaar den Nachnamen der Braut annimmt. Das war zu dieser Zeit sicher ungewöhnlich.«
»Ich habe hier den Brief eines Kommilitonen oder ehemaligen Kollegen. Darin wird Hilding zur Hochzeit gratuliert, gleichzeitig spricht der Briefschreiber zum Tod des Schwiegervaters sein Beileid aus.«
»Lovisa erbte das Krankenhaus. Aber de facto hat Hilding den Betrieb übernommen.«
Irene dachte an das Hochzeitsfoto von 1936, an den langen, eleganten Hilding Löwander, geborener Svensson, und an die puppengleiche Lovisa. In den Dreißigerjahren hatten in Schweden Depression und schwere Zeiten geherrscht. Aber Hilding war durch die Hochzeit zu Geld gekommen, zu Stellung und Status. Er erhielt von seiner Prinzessin zwar kein Schloss, aber immerhin ein eigenes Krankenhaus. Das war vermutlich für einen ehrgeizigen Arzt ohne Vermögen eine gute Partie.
»Drei meiner Ordner beziehen sich auf den Umbau der Löwander-Klinik. Es handelt sich um Skizzen des Rohrleitungsnetzes, der Aufzüge und der OP-Traktes, von allem Drum und Dran! Hilding war ordentlich. Er hob alles auf.«
»In welchem Jahr erfolgte der große Umbau?«
»Die Zeichnungen und Angebote sind aus der Mitte der Fünfzigerjahre, von ’55 und ’56.«
»Dann sind die Arbeiten also vermutlich ’58 oder ’59 ausgeführt worden.«
»Yes.«
Tommy zog eine Mappe aus dünnem blauem Karton hervor und fächelte mit ihr in der Luft herum.
»Hier sind ganz andere Sachen drin. Private Rechnungen. Interessant. Schau dir mal den Index an.«
Tommy schlug die erste Seite des Ordners auf und hielt ihn Irene hin. Mit großer Schrift hatte jemand unter A »Allgemein« geschrieben, unter B stand »Beiträge«, das Vorsatzblatt mit F trug den Vermerk »Freimaurer«. Hinter jedem Vorsatzblatt waren die Quittungen über geleistete Zahlungen ordentlich abgeheftet.
Auf das Vorsatzblatt mit T hatte Hilding »Tekla« geschrieben.
Tommy blätterte bei T um und zeigte Irene triumphierend ein Bündel Quittungen.
»Den gesamten Herbst ’46 bezahlte Hilding Löwander die Arztrechnungen für Tekla! Hier sind sieben Quittungen. Außerdem hat er ihr einen Krankenhausaufenthalt vom 1. bis zum 15. Januar ’47 bezahlt.«
»Das bestätigt meinen Verdacht!«
Irene suchte einen Ordner hervor. Der Leinenrücken trug die Aufschrift »Privat«. Er knirschte, als sie den Ordner aufschlug.
Ehe sie Tommy ihren Fund zeigte, dachte sie nach. Nach einer Weile sagte sie:
»Wir wissen, dass Lovisa Löwander den Gerüchten nach verlangt hat, dass Schwester Tekla die Klinik verlässt. Das war etwa zu der Zeit, zu der sie schwanger wurde. Meine Theorie ist, dass Tekla eine schwere Depression erlitt. Hilding bezahlte ihre Arztbesuche im Herbst und den Krankenhausaufenthalt im Januar. Die Depressionen erreichten, wie wir wissen, mit dem Selbstmord zwei Monate später ihren Höhepunkt.«
Irene blätterte in ihrem Ordner, ehe sie fand, was sie suchte. Sie nickte und fuhr dann fort:
»Ich glaube, dass Lovisa und Hilding davon ausgingen, dass sie keine Kinder bekommen könnten. Schließlich passierte mehrere Jahre lang nichts. Wahrscheinlich fühlte sie sich deswegen wertlos und hatte nicht die Kraft, zu fordern, dass Hilding und Tekla ihre Affäre beendeten. Die Schwangerschaft änderte alles. Danach konnte sie sich behaupten. Hier ist ein Papier, das auf den 5. März ’46 datiert ist.«
»Lies vor.«
»Es handelt sich um ein ärztliches Attest.
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