Der zweite Mord
hat, dann hat er es vielleicht wieder getan. Ich habe mich an die Rolle Flaggenleine erinnert, die ich letzten Herbst gekauft habe.«
Er schwieg erneut.
»Ich ging wieder nach unten und nahm die Leine hervor. Ich habe damals zwanzig Meter gekauft. Jetzt ist sie nur noch knapp vierzehn Meter lang. Ich habe sie mit dem Zollstock nachgemessen«, fuhr er fort.
»Es fehlen also sechs Meter«, sagte Tommy.
»Ja.«
Sie tranken ihren Kaffee, ohne noch etwas zu sagen.
»Allmählich wird es Zeit zum Mittagessen. Anschließend habe ich eine Idee, was wir machen können, bis wir uns um drei mit Löwander treffen«, sagte Irene.
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass deine kleinen Ideen auszuufern pflegen«, sagte Tommy seufzend.
»Gar nicht. Die hier nicht. Ich dachte, dass wir zu dieser alten Nachtschwester gehen könnten, die in der Nacht gearbeitet hat, in der Marianne ermordet wurde.«
»Die Alte, die das Gespenst gesehen hat? Siv irgendwas?«
»Siv Persson. Die Brosche, die im Schuppen gefunden wurde, war laut Malm eine Sophiabrosche. In dem Moment habe ich nicht daran gedacht, aber jetzt ist es mir wieder eingefallen. Siv Persson trug eine solche Brosche, als ich sie am Morgen nach dem Mord an Marianne gesehen habe.«
Siv Persson wohnte in einem dreistöckigen Mietshaus aus rotem Backstein. Es lag ein paar Straßen von der Löwander-Klinik entfernt und ließ sich bequem zu Fuß erreichen. Irene hatte vom Chinarestaurant aus angerufen, um sich zu versichern, dass die Nachtschwester auch zu Hause sein würde. Hier hatten sie das Tagesgericht, Beefsteak mit Bambussprossen, gegessen.
Siv Persson schien nichts gegen einen Besuch von der Polizei einzuwenden zu haben. Offenbar hatte sie vom Mord an Gunnela Hägg gehört. Sie bekundete ihre Sorge darüber, dass Linda immer noch verschwunden war. Irene erzählte ihr nicht, dass sie Linda inzwischen gefunden hatten. Es war besser, sich das für später aufzuheben.
Siv Persson wohnte im zweiten Stockwerk. Fahrstuhl gab es keinen. Irene drückte auf den Klingelknopf neben der Teakholztür. Es dauerte eine Weile, bis von innen Schritte und Geräusche zu hören waren. Irene versuchte freundlich auszusehen, da sie keinen Augenblick daran zweifelte, dass sie gerade durch den Spion in der Tür kritisch gemustert wurden. Als die Tür schließlich einen Spalt weit geöffnet wurde, musste Irene an eine kleine Maus denken, die ihre Nase aus ihrem Bau steckt. Die Schwester trug die selbe unscheinbare graue Wolljacke wie bei ihrer ersten Begegnung. Ihr Haar schien aus der Restwolle zu bestehen. Unter der Jacke trug sie ein beigebraunes Kleid, von dem man beim besten Willen nicht behaupten konnte, dass es ihren Teint besser zur Geltung brachte. Der einzige Farbtupfer war das hellblaue Brillengestell, aber auch dieses wirkte verblasst.
»Guten Tag, Schwester Siv. Wir haben gerade miteinander telefoniert. Inspektorin Irene Huss, und das hier ist mein Kollege Inspektor Tommy Persson.«
»Guten Tag.«
Sie öffnete die Tür und bat sie einzutreten.
Die Diele war so winzig, dass man sich in ihr kaum umdrehen konnte. Siv Persson musste einen Schritt rückwärts in die Küche gehen, damit Irene und Tommy sich ihre Jacken ausziehen konnten. Von der kleinen Küche aus sagte Siv Persson:
»An Sie, Frau Huss, kann ich mich noch von diesem entsetzlichen Morgen nach dem … Mord erinnern. Aber Herrn Persson bin ich damals, glaube ich, nicht begegnet. Es war ja ein ziemliches Durcheinander. Wollen Sie einen Kaffee?«
»Danke, gern. Aber nur, wenn Sie sich ohnehin gerade einen machen«, sagte Irene schnell.
Siv Persson lächelte und stellte die Kaffeemaschine an. Offenbar hatte sie schon alles für ein Kaffeekränzchen vorbereitet. Im Wohnzimmer war der polierte Couchtisch ordentlich mit Kaffeetassen und einer Schale Schokoladenkekse gedeckt.
»Ich habe leider kein anderes Gebäck, und um noch etwas einzukaufen, war nicht mehr genug Zeit.«
»Das ist ganz wunderbar. Wir sind nicht verwöhnt«, sagte Tommy und lächelte. Siv Persson wirkte beglückt und trippelte in die Küche, aus der sie Sahnekännchen und Zucker holte.
Das moosgrüne Sofa und die hellen graubeigen Sessel mit ihren geraden Linien und lackierten Armlehnen aus Eiche erinnerten Irene an das Wohnzimmer ihrer Kindheit. Der niedrige ellipsenförmige Couchtisch war aus demselben Holz wie die Armlehnen der Sitzmöbel. Der geknüpfte Teppich war rot und grün gemustert. Das Bücherregal aus hellem Teakholz hatte Unterschränke
Weitere Kostenlose Bücher