Der zweite Mord
herunterzuschneiden. Gertrud übernahm Teklas Dienst, nachdem diese aufgehört hatte. Sie sind sich sozusagen nie im Leben begegnet.«
Tommy nickte nachdenklich. Schließlich sagte er:
»Warum geht sie in ihrem Festkleid um, wenn sie sich in ihrer Alltagsuniform erhängt hat?«
Siv Persson presste die Lippen zusammen.
»Ich muss mich wieder umziehen«, sagte sie.
Es ist an der Zeit, an den Mord an Gunnela Hägg anzuknüpfen, dachte Irene. Eine Aussage auf dem Band hatte sie die ganze Zeit irritiert. Sie hatte den Verdacht, dass Siv Persson die rechte Person war, Licht in dieses Geheimnis zu bringen.
Deswegen befleißigte sich Irene freundlich auszusehen, als die Krankenschwester wieder das Zimmer betrat. Sie war wiederum in ihre staubfarbene Tarnkleidung gehüllt. Irene lächelte und sagte:
»Ich glaube, dass Sie uns möglicherweise bei einer Sache behilflich sein können, die den anderen Mord betrifft, den an der Stadtstreicherin. Sie hieß übrigens Gunnela Hägg. Sagt ihnen dieser Name etwas?«
Siv Persson legte einen Augenblick die Stirn in Falten und schüttelte dann bedauernd den Kopf.
»Erst dachte ich … aber … nein. Ich kenne den Namen nicht.«
»Es gibt ein Verhör dieser Gunnela, das unmittelbar nach dem Mord an Marianne auf Tonband aufgezeichnet wurde. Da sagt sie deutlich, dass sie die Geschichte von Schwester Teklas Selbstmord kennt. Sie nennt sogar ihren Namen.«
Siv Persson sah ungeheuer erstaunt aus.
»Merkwürdig. Kann sie bei uns gearbeitet haben?«
»Kaum. Sie war über fünfundzwanzig Jahre im Lillhagen-Krankenhaus und …«
»Deswegen!«
Eifrig stand Siv Persson aus ihrem Sessel auf. Eine leichte, aufgeregte Röte überzog ihre bleichen Wangen.
»War sie … lassen Sie mich nachdenken … vor dreizehn Jahren in Lillhagen?«
»Ja.«
»Dann kann sie zu einer Gruppe von zehn Patienten gehört haben, die wir von Lillhagen übernahmen, als dort den Sommer über geschlossen war. Auf diese Art und Weise wollte die Löwander-Klinik die Finanzen aufbessern. Wir schlossen einen Vertrag mit der Krankenpflegeverwaltung ab und übernahmen Patienten von unterschiedlichen inneren Stationen. Gleichzeitig bekamen wir zehn Patienten aus der Psychiatrie.«
Sie verstummte und schien nachzudenken.
»Die folgenden Sommer bekamen wir glücklicherweise keine Patienten mehr aus der Psychiatrie! Die Löwander-Klinik eignet sich nur schlecht für Pflegefälle. Patienten aus der Psychiatrie sind hier jedoch vollkommen fehl am Platz. Das war der schlimmste Sommer meines Lebens! Jedenfalls was die Arbeit betrifft.«
»Das müsste sich schnell überprüfen lassen. Wir bitten Hannu, sich darum zu kümmern.«
Die letzte Bemerkung war an Tommy gerichtet, der sofort in die Diele ging und sein Handy aus der Jackentasche fischte. Er hatte Glück und erwischte Hannu bereits beim ersten Versuch.
Irene stand ebenfalls auf, gab Siv Persson die Hand und dankte für den Kaffee und für die unschätzbare Hilfe, die sie ihnen geleistet hatte. Während sie sich die Jacke anzog, fragte Irene, mehr um das Schweigen zu überbrücken:
»Wann fangen Sie wieder an zu arbeiten?«
Siv Persson verschränkte die Arme, als sei es in Ihrer Wohnung auf einmal kalt geworden.
»Erst nach der Operation und die ist in zwei Wochen.«
»Müssen Sie sich operieren lassen? Hoffentlich nichts Ernstes?«
»Nein. Eine Staroperation. Das eine Auge.«
Irene zögerte. Vor zwei Jahren war ihre Mutter am grauen Star operiert worden. Sie erinnerte sich daran, wie sie darüber geklagt hatte, dass alles verschwamm und dass es ihr schwer fiel, bei schlechtem und sehr hellem Licht etwas zu erkennen. Ohne ihre Aufregung zu zeigen, fragte sie:
»Handelt es sich um den grünen oder grauen Star?«
»Glücklicherweise um den grauen.«
»Bereitet Ihnen das viele Unannehmlichkeiten?«
Tommy hob fragend eine Augenbraue. Irene verstand seine Skepsis, was ihr plötzliches Interesse an Krankheiten und Operationen anging. Aber die Sache war vielleicht wichtig.
»O ja! Am schlimmsten ist es beim Lesen. Die Buchstaben verschwimmen, wenn …«
Die Krankenschwester verstummte und sah Irene scharf an.
»Ich weiß, worauf sie hinauswollen. Aber ich habe sie deutlich gesehen! Die Wolken teilten sich, und das Licht des Mondes fiel durchs Fenster. Ich habe sie gesehen!«
Sorgsam wählte Irene ihre Worte und sagte mit großem Ernst:
»Ich zweifle nicht daran, dass Sie sie gesehen haben. Aber das war kein Gespenst. Sie haben einen verkleideten Mörder
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