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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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dass er sich das Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen und das Haar nass gekämmt hatte. Das Resultat war nicht besonders geglückt. Aber seine Augen … Einen Augenblick lang begegnete sich ihr Blick, und Irene stürzte in das Meergrün seiner Augen. Der Mann war lebensgefährlich!
    Im nächsten Augenblick war es vorbei, und der zusammengesunkene Mann, der vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte, sah nicht mehr im Geringsten aus wie ein Herzensbrecher. Irene schämte sich fast ihrer Gedanken und ermahnte sich. Das waren Groschenromanphantasien, nichts anderes. Es war langsam Zeit, dass sie sich zu einer professionelleren Einstellung zu diesem Mann durchrang. Ehe sie sich noch sammeln und eine einigermaßen intelligente Frage stellen konnte, kam ihr Löwander zuvor.
    »Um alle Investitionen und Renovierungen hat sich Papa gekümmert. Seine größte Maßnahme war der Bau des Treppenhauses. Das war nötig, weil wir einen richtigen Bettenaufzug benötigten. Der OP-Trakt wurde damals ins Obergeschoss verlegt und die kleine Intensivstation neu gebaut«, sagte er.
    »Wann war das?«, fragte Irene aus bloßer Neugierde.
    »Ende der Fünfzigerjahre. Papa hat sich bis zu seinem Tod vor bald vierzehn Jahren um die Finanzen der Klinik gekümmert.«
    Irenes Neugier war geweckt.
    »Warum kommt die Källberg-Klinik besser zurecht als die Löwander-Klinik?«
    »Die haben ganz andere Mittel. Dort gibt es Spezialisten auf allen Gebieten. Die haben die großen Investitionen vor der Krise im Gesundheitswesen abgewickelt. Heute ist die Källberg-Klinik eines der modernsten Krankenhäuser in Göteborg.«
    »Und die Löwander-Klinik …?«
    »Die Löwander-Klinik ist am Ende!«
    Es entstand ein langes Schweigen. Irene sagte als Erste wieder etwas.
    »Was haben Sie für Pläne für die Klinik?«
    »Ich weiß nicht. Niemand will das Gebäude als Pflegeeinrichtung kaufen.«
    Er verstummte und lachte kurz und trocken.
    »Carina will hier ein Fitnesscenter eröffnen.«
    »Was halten Sie davon?«, fragte Irene.
    »Im Augenblick ist es mir egal, was mit dem Gebäude passiert!«
    Irene sah entsetzt, dass er die Hände vors Gesicht schlug. Sie wechselte über den gebeugten Rücken Löwanders hinweg mit Tommy einen Blick. Mit dem beruhigendsten Tonfall, dessen sie fähig war, sagte Irene:
    »Uns ist klar, dass sie sich seit längerer Zeit ziemlich unter Druck befinden. Erst die Sorge um die Zukunft der Löwander-Klinik und nun die Morde … Wenn Sie wollen, machen wir heute Nachmittag weiter.«
    Dr. Löwander nickte. Mit gesenktem Kopf verschwand er erneut in der Toilette.
    Als er wieder ins Zimmer trat, sah er aus, als sei er vollkommen am Ende.
    »Wollen Sie, dass wir Sie nach Hause fahren?«, fragte Irene. Langsam schüttelte er den Kopf.
    »Nein … danke. Ich bleibe hier. Ich will versuchen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.«
    »Ist es in Ordnung, wenn wir gegen drei wieder hier sind?« »Ja … danke.«
     
    Auf dem Treppenabsatz vor der Station blieb Irene stehen und sah Tommy an. Nachdenklich meinte sie:
    »Löwander steht kurz vor einem Zusammenbruch.«
    »Sieht so aus.«
    »Glaubst du, dass Privatkliniken besser sind?«
    »Nein. Aber wenn die städtischen Krankenhäuser die Versorgung nicht gewährleisten können, auf die wir ein Recht haben, dann muss es die Möglichkeit geben, anderweitig Hilfe zu suchen. Auch in einer Privatklinik. Zu sterben, weil man auf eine Operation warten muss, und das aus ideologischen Gründen, fände ich wahnsinnig.«
    Schweigend gingen sie die Treppe hinunter in das Reich von Folke Bengtsson.
     
    Die Tür stand weit offen, doch das Hausmeisterzimmer war leer. Alles war wie beim ersten Mal, außer dass jetzt ein großer Karton mit der Aufschrift »Flaggen« mitten auf dem Schreibtisch stand. Irene trat darauf zu und wollte ihn gerade öffnen und hineinschauen, da hörten sie Bengtssons schwere Schritte auf der Treppe. Er hatte es offenbar eilig. Irene machte einen großen Schritt zurück und drehte sich Richtung Tür. Im nächsten Augenblick tauchte Bengtsson auf. Er war außer Atem und wirkte erregt.
    »Gut! Endlich ein paar Bu… Polizisten, die zuhören wollen!«, rief er.
    Er steuerte auf den Schreibtisch zu und öffnete den Karton. Triumphierend zog er eine Rolle weiße Leine hervor.
    »Schauen Sie! Was habe ich gesagt!«
    »Entschuldigen Sie, Folke, aber was hatten Sie gesagt?«
    Unsicher schaute Bengtsson abwechselnd auf Irene und Tommy.
    »Aber … ich habe geglaubt, man hätte Sie hierher

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