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Der zweite Mord

Der zweite Mord

Titel: Der zweite Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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mit Schubladen. Das gesamte kleine Wohnzimmer war im Stil der Fünfzigerjahre eingerichtet. Es wäre nicht im Mindesten erstaunlich gewesen, wenn plötzlich Bill Haleys »Rock Around the Clock« aus den Lautsprechern der Stereoanlage ertönt wäre.
    Von der einheitlichen Einrichtung stachen der Fernseher und die Kunst an den Wänden ab.
    Die Gemälde waren quadratmetergroß. Alle stammten offenbar von demselben Künstler. Die Farben leuchteten. Es handelte sich um schöne Landschaften mit blauen Bergen oder fruchtbaren Tälern.
    Der Fernseher stand gegenüber der Sitzgruppe und war riesengroß. So einen großen Bildschirm hatte Irene noch nie gesehen. Auf beiden Seiten waren große Lautsprecher angebracht. Wenn Fernsehen geschaut wurde, war ganz eindeutig Hi-Fi angesagt.
    »Mein Bruder hat die Bilder gemalt«, sagte Siv Persson.
    Sie nickte in Richtung von einem der Gemälde und sah sehr stolz aus.
    »Sie sind wunderbar. Hat er sie im Ausland gemalt?«
    »Ja. Er hat die letzten zwanzig Jahre seines Lebens in der Provence verbracht. Vor zehn Jahren ist er gestorben.«
    Verbarg sich hinter dem grauen Äußeren von Siv Persson vielleicht eine schillernde Persönlichkeit? Als sich die dünne Gestalt in den graubeigen Sessel sinken ließ, hatte es einen Augenblick lang den Anschein, als würde sie mit ihm verschmelzen und verschwinden. Das Einzige, was in der Luft hängen blieb, war ihre hellblaue Brille. Irene wehrte sich gegen diese optische Täuschung und beschloss, es sei an der Zeit, konkreter zu werden.
    »Wie Sie sicher verstehen, sind wir hier, weil wir etwas genauere Angaben darüber benötigen, was Sie in der Mordnacht gesehen haben«, begann sie.
    »Das habe ich bereits mehrere Male erzählt«, sagte Siv Persson. Aus ihrer Stimme war eine deutliche Unruhe herauszuhören.
    »Das ist richtig. Aber jetzt ist eine Woche vergangen. Gewisse Dinge sind jetzt möglicherweise klarer, und neue Details könnten aus der Erinnerung aufgetaucht sein?«
    Die Schwester presste die Lippen zusammen und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Irene ließ sich davon nicht entmutigen.
    »Haben Sie von der Brandstiftung im Geräteschuppen gehört?«
    »Ja. Das stand in der Zeitung … Aber das kann doch wohl nichts mit dem Mord an Marianne zu tun haben? Oder mit dem Verschwinden von Linda? Ich wusste nicht mal, dass da ein Geräteschuppen steht.«
    »Ich nehme an, dass Sie vom Mord an der Stadtstreicherin gehört haben?«
    »Ja. Darüber stand ebenfalls etwas in der Zeitung. Was ist eigentlich los in der Löwander-Klinik?«
    »Dem versuchen wir gerade auf den Grund zu gehen. Und dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«
    Irene ließ der älteren Frau Zeit, das zu verarbeiten. Mit Nachdruck sagte sie:
    »Die ermordete Stadtstreicherin wohnte in diesem Geräteschuppen.«
    Siv Persson runzelte die Stirn, und ihre Miene spiegelte ein ganzes Register von Mienen, angefangen von Ungläubigkeit bis hin zu Erstaunen, wider.
    »Das kann doch nicht wahr sein? Mitten im Winter in einem Schuppen für Gartengeräte zu wohnen!«
    »Sie war vermutlich dankbar, dass sie überhaupt ein Dach über dem Kopf hatte. Sie haben sie nie in der Nähe der Klinik gesehen?«
    »Wie sah sie aus?«
    »Klein und mager. Sie trug einen großen Herrenmantel, der von einer Schnur zusammengehalten wurde. Rosa Strickmütze.«
    »Nein. Ich habe nie jemanden gesehen, der so aussah«, sagte Siv Persson mit Bestimmtheit.
    »Nun zum Brand vom Samstagabend. Der wurde gelegt. Die Pennerin hatte sich aus verschiedenen Decken und einem Schlafsack ein Lager bereitet. Der Brandstifter zündete diesen Haufen an. Obendrauf legte er eine schwarze Schwesterntracht aus Wollstoff. In der Asche fanden wir auch die Brosche einer Sophiaschwester. Ich erinnere mich, dass Sie ebenfalls eine solche Brosche tragen.«
    Wortlos stand Siv Persson auf und verschwand durch eine Tür, die bis dahin geschlossen gewesen war. Irene vermutete, dass sie ins Schlafzimmer führte. Tommy und Irene warfen sich einen fragenden Blick zu, sagten aber nichts. Sie hörten, wie die Schwester im Nebenzimmer herumwirtschaftete. Nach ein paar Minuten wurde die Tür erneut geöffnet, und Siv Persson trat wieder ins Wohnzimmer. Völlig verändert. Sie hatte ihre Unscheinbarkeit verloren und war plötzlich Mittelpunkt des Zimmers geworden. Sie strahlte Autorität aus. Ihre Gestalt besaß eine Erhabenheit, die vorher nicht zu ahnen gewesen war. Bis in die Fingerspitzen hinein war sie jetzt wirklich Krankenschwester.
    Auf dem Kopf

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