Der Zweite Tod
Matratze auf den Balkon zu zerren und unler freiem Himmel zu schlalen. Dann war hier um diese Zeit belegt, wenn kein Nachtregen sie vertrieben hatte.
Kjell zog wahllos ein Buch aus dem Regal und setzte sich damit an den Küchentisch. Morgens las er am liebsten Griechisch. Er schlug das Buch auf. Er hatte Diodor erwischt. Römische Geschichte. Die Verhöre mit Mari waren an einem Punkt angelangt, wo er langsam mit dem Verknüpfen von Zusammenhängen beginnen musste, und da gab es nichts Besseres, als sich über et was Griechi sches zu beu gen und Par tizipial kons t ruktionen und erweiterte Infinitive auf sich wirken zu lassen.
Was verschwieg Mari? Diese Frage hatte ihn mitlen in der Dunkelheit aus dem Bett getrieben. Er brachte die Fakten nicht zu sam men, weil meh rere Szena rien mög lich wa ren. Was ihm fehlte, war Lindas Vermögen, in Bildern zu denken. Linda war so anders als er, sie konnte sogar eine Stunde lang aufs Meer schauen, ohne unruhig zu werden. Für eine gute Ermittl ung bedurfte es beiderlei, auch wenn er systematisches Denken für etwas wichtiger hielt. Bei der Aufklärung des Mordes an Carl Petersson hatte er jedoch von Anfang an das Gegenteil vermutet. Es war dieses Bild des Toten in seiner Wohnung, dieses einzelne Bild. Er stand vor der Frage, ob neben Mari Svahn noch ein anderer an Peterssons Tod Anteil hatte. Er würde Mari heute den ganzen Tag in die Mangel nehmen, und am Abend wollte er die Antwort auf diese eine Frage haben. Er musste endlich ein Bild davon bekommen, wie diese Nacht verlaufen war.
Er blickte erneut in das Buch. Diodor erzählte vom Kampf der Römer gegen König Pyrrhos. Kjell wollte in seiner Lage lieber nicht von Pyrrhos hören und blätterte weiter. Ein oskisches Söldnerheer hatte Messana in Sizilien erobert, alle Männer getötet und sich Frauen, Kinder und den Rest der Stadt selbst zum Geschenk gemacht. Nach dem Kriegsgott Mars, der bei den Oskern »Mamerts« hieß, nannten sich die Söldner Mamert iner. Als sie in Bedrängnis gerieten, riefen sie sowohl Rom als auch Karthago zur Hilfe und verursachten damit den ersten Punischen Krieg.
Kjell klappte das Buch zu. Ohne klüger zu sein, schenkte er sich die dritte Tasse ein.
42
Linda aß ihr Frühstück auf dem Balkon. Sie tunkte Fladenbrot in die Milch und nannte das Berberfrühstück. Ihre Füße lagen auf dem Gel änder und wippten zum Takt der Musik, die aus dem Radio kam. Es stand sogar ein Fernseher im Zimmer, aber dort gab es nur CNN, BBC und einen deutschen Privatsender, der abends nur Softpornos sendete. Da war es eigentlich kein Wunder, dass es hier so viele Terroristen gab.
Auf einmal hörte sie jemanden hinter sich stehen und drehte sich um. Es war Sofi.
»Wie war die Nacht?«
Diese For mu lie rung ir ritierte Linda, aber vor al lem die Härte in Sofis Stimme.
»Gut«, lachte Linda verunsichert. »Und bei dir?«
»Zieh dich bitte an. Und pack deine Sachen. Wir fliegen zurück.«
Linda schluckte ihren Biss en her unt er und starrte sie an. »Aber ich …« »Pack deine Tasche, Linda!«
Sofi hatte noch nie so mit ihr gel edet. Linda sprang auf.
»Okay.«
Zwei Stunden später saßen sie in der Cafeteria am Flughafen. Die Einrichtung war blassgrün wie eine Zahnarztpraxis, und auch Sofis Gesichtsfarbe tendierte in diese Richtung. Warum hatten sie sich nicht von Nura verabschiedet? Hatten die beiden sich gestritten? Ohne ein Wort waren sie zum Flughafen gerast. Am Schalter hatte Sofi zwei neue Tickets mit ihrer privaten Kreditkarte gekauft. Danach wollte sie sofort einchecken, obwohl der Flug erst in zwei Stunden ging. Im Wart ebereich konnte man wirkl ich nichts anderes tun als zu warten, nur drei Geschäfte und diese Cafeteria brachten die Leute davon ab, wahnsinnig zu werden. Dort saßen sie nun seit einer Stunde. Linda wagte nicht zu fragen.
Der Abflug war wie eine Erlösung. Auch während des Fluges änderte Sofi ihr Verhalten nicht. Den ganzen Tag hatten sie nur das Nötigste geredet. Vier Sätze.
43
Mari Svahn behauptete, die in der Nacht gelieferten Dokumente nicht mitgenom men zu haben. Sie wa ren auf der Schreibtischplat te liegen geblie ben, die sonst leer ge wesen war. Au ßerdem sei ein Hau fen ähn licher Do ku mente zu Bo den gefal len, als sie den Akt enschrank durchwühlte. Die Pol izei hatte weder auf dem Tisch noch auf dem Boden solche Dokumente gefunden.
Um acht Uhr erreichte Kjell das Polizeigebäude. Die Morgenlektüre und der anschließende Fußmarsch über die Westbrücke
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