Der Zwerg reinigt den Kittel
dass ich ihn gesucht habe nach der Morgenpflege, statt auf Zimmer fünf mit der Gräfin zu rauchen.
Ergebnis: kein Professor, kein Nikotin. Frau Schnalke liest wahrscheinlich gerade ihre Liste vor und sagt in die tödliche Stille hinein: »Almut Block, unentschuldigt. Verbleib ungeklärt.«
Meine Laune ist im Keller, aber das ist eine ziemlich saloppe Formulierung. Viel zu salopp, kein guter Ausdruck, würde Marlen jetzt sagen, wenn sie nicht seit vierzig Jahren tot wäre. Der bessere Ausdruck, würde sie sagen, ist: Ich habe Angst.
Angst vor Schwester Terese.
Angst vor der Strafe. Blutige Zehennägel zum Beispiel.
»Jetzt mach dir nicht ins Hemd!«, würde Karlotta sagen, wenn sie nicht seit vierzig Jahren tot wäre. »Ein bisschen Blut im Schuh hat noch keinem geschadet, und dir wird es auch nicht schaden, Almut, mein Aschenbrödel.«
»Aschenbrödel, kicher. Du bist ja sowas von gemein, Karlotta, kicherkicher. « Das war jetzt Suzanna. Oder wäre es gewesen, wenn sie nicht tot wäre.
Ganz allein ist es schwer, die Tür zum Speisesaal zu öffnen. Keiner da, der mir hilft, zum Beispiel mit einem schlechten Witz.
Ruckediguh, Blut ist im Schuh.
Ich atme tief durch, ich öffne die Tür, im Speisesaal ist die Hölle los. Oder der Himmel.
Die Fenster sind weit geöffnet, ein Schwall frischer Morgenluft schlägt mir entgegen, sie riecht nach frisch geschnittenem Gras, sie klingt nach Vogelgezwitscher, Halleluja. Ich stehe in der Tür, ich sehe mich um, kaum zu glauben: Keiner friert, keiner beschwert sich, erhitzte Gesichter überall, fröhlicher Lärm. Tellerklappern, Tassenklirren, die Alten werfen sich Sätze zu wie bunte Bälle. Sätze, die ich noch nie gehört habe in der R ESIDENZ .
Der Schinken ist groÃartig!
Hast du den Gorgonzola schon probiert?
Her mit der Butter!
Auf den Tischen stehen echte Blumen, üppige SträuÃe in bauchigen Vasen, da sind Gladiolen und Sonnenblumen, Gerbera und Lilien, und die Lieblingsblumen der Gräfin sind auch dabei, Chrysanthemen und Nelken, Halleluja.
Ich schlurfe durch den Saal auf meinen Platz, ich sollte irgendjemanden fragen, was hier eigentlich los ist und warum vorne unter der Uhr, wo Schwester Terese sonst immer steht, ein Tisch mit Mikrophonen steht und mit Wassergläsern. Ich sollte fragen, warum jemand eine Reihe Klappstühle aufgestellt hat, zwei Meter vor dem Tisch, und warum auf jedem Stuhl eine Mappe liegt, das sollte ich alles fragen, aber ich bin verwirrt. Der Lärm, der Geruch nach Gras und Blumen, und über allem der Duft von etwas, das es in der R ESIDENZ normalerweise nur am Nachmittag gibt, und da riecht es anders, weil der Kaffee am Nachmittag koffeinfrei ist und so dünn, dass du dir die Hände damit waschen kannst.
Ich setze mich auf meinen Platz, ich bin die Letzte am Tisch, alle anderen frühstücken schon. Die polnische Küchenhilfe kommt angetrabt, ohne Wägelchen, in der rechten Hand eine Porzellankanne, in der linken ein Porzellankännchen.
»Kaffee?«, sagt sie.
Ich glotze sie an. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, ich nicke. Sie gieÃt mir Kaffee in die Tasse, der Strahl ist tiefschwarz. Schwarz wie Tinte, schwarz wie das Blut der Verdammten, die einen Pakt mit dem Teufel unterschrieben haben, Halleluja.
»Milch?« Die Küchenhilfe schwenkt das Kännchen.
Ich schüttle den Kopf.
»Weiches Ei oder Ei im Glas?«
»Ei?«, sage ich wie jemand, der noch nie ein Huhn gesehen hat.
»Köstlich einfach köstlich so ein Ei aber nicht das weiche das ist nur was für Weicheier höhö und Ei im Glas ist nur was für Schwuchteln Ich empfehle Spiegelei mit Speck knusprigknusprig dazu ein kräftiger Schuss Ketchup mit Senf und da fällt mir ein Witz ein aber den erzähl ich euch später meine Täubchen jetzt nicht weil jetzt ist euer Täuberich beschäftigt mit seinem Spiegelei höhö einfach köstlich.«
Schwochow hat gelb verschmierte Mundwinkel, die Stoffserviette hat er sich um den Hals gebunden, sie hängt über seine Altmännertitten, farbenfroh befleckt. Rot, das ist vom Ketchup, braun, das ist vom Senf, die grünlichen Flecken sind mir ein Rätsel. Ich lasse meinen Blick über den Tisch schweifen. Ãber den Brotkorb, die Käseplatte, die Wurstplatte, die Schüssel mit Cornflakes, das Glas mit Honig, ah ja, alles klar: Obstteller, Kiwi.
»Weich, im Glas
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