Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
Vom Netzwerk:
schöne Sachen machen, für solche Leute gibt es dann noch das Tierheim oder den Floristen.
    Hol dir einen Hund.
    Kauf dir eine Pflanze.
    Der Hund ist gratis, aber sozial gestört, weil er misshandelt wurde.
    Die Pflanze kostet, aber sie beißt nicht.
    Ãœberleg es dir gut.
    Für mich ist sogar dieser dritte und letzte Weg heraus aus der Einsamkeit weggefallen, weil ich Hunde scheiße finde, wenn Sie verstehen, was ich meine, und das mit der Pflanze, nun ja.
    Gummipalmen sind nicht so mein Ding, aber es soll sehr schöne Farne geben. Sie wachsen irgendwo in Neuseeland und produzieren Blausäure, wenn du sie berührst. Deine Haut schlägt Blasen, dann frisst sich das Gift durchs Gewebe und tief hinein in alles, was du da drinnen so mit dir herumträgst.
    Lunge.
    Herz.
    Du streichelst deinem letzten Lebensabschnittspartner zärtlich über die Blätter, und ein paar Minuten später stirbst du an multiplem Organversagen.
    Wäre eine Möglichkeit gewesen für mich, so ein neuseeländischer Farn, aber wissen Sie was: Ich wäre nicht glücklich geworden mit ihm.
    Weil er nicht kichert wie Suzanna.
    Weil er nicht grinst wie Marlen.
    Weil er nicht das Zeichen macht wie Karlotta.
    V wie Victory, wir waren unschlagbar, wir vier, und man kann ja vieles sagen über die Freundschaft, zum Beispiel, dass sie schwer zu definieren ist und etwas mit Freundlichkeit zu tun hat, also vom Wort her, und in der Sache geht es um Sympathie und Wertschätzung, und das mag ja alles sein, aber bei uns war das nicht so.
    Wir waren uns nie besonders sympathisch, keine der anderen, und freundlich waren wir auch nicht miteinander, aber es hat Spaß gemacht.
    Mein Gott, hat das immer Spaß gemacht.
    Nach dem Brand damals bin ich ein paarmal zum Arzt gegangen wegen der Schlaflosigkeit. Zu vielen Ärzten, um genau zu sein, und sicher ein paar Jahre lang, ich will das ja jetzt nicht kleinreden hier, ich will ganz ehrlich sein, es war eine schlimme Zeit.
    Und ich habe immer gesagt, dass ich es nicht weiß.
    Ich weiß nicht, warum ich nicht schlafen kann, Herr Doktor, habe ich immer gesagt und mir Schlaftabletten verschreiben lassen, die dann nichts genützt haben.
    Tabletten gegen die Depression.
    Gegen den Schmerz.
    Ich weiß es nicht, Herr Doktor, ich weiß es nicht.
    Wenn du etwas oft genug sagst, dann glaubst du es irgendwann selbst.
    Verdrängung?
    Von mir aus.
    Sie können das nennen, wie Sie wollen, von mir aus auch Verdrängung, auf jeden Fall habe ich die ganze Sache vergessen nach dem zweiten Jahr ohne Schlaf oder dem dritten, ich weiß nicht mehr wann, ich weiß nur, dass es eine Erleichterung war.
    Keine Weinkrämpfe mehr mitten bei der Arbeit, keine Wutausbrüche oder hysterischen Anfälle, und vor allem keine Panikattacken. In Hotels, im Einzelzimmer. Beim Anblick einer Flasche Grappa.
    Es hat sich alles beruhigt, irgendwann, weil ich alles vergessen habe. Nur das mit dem Schlafen ist nicht besser geworden, und jetzt ist mir auch klar, warum.
    Suzanna, Karlotta, Marlen – sie sind alle drei gestorben damals, aber sie haben mich nie verlassen. Treue Gefährtinnen über den Tod hinaus, und das sieht ihnen ähnlich, den Nervensägen.
    Können einfach keine Ruhe geben!
    Drei verkohlte Leichen, niedergebrannt bis auf das Skelett und die Zähne, jeder normale Mensch in diesem Zustand würde sagen: Nun gut, es ist vorbei, Schwamm drüber, ich bin tot.
    Und was machen meine besten Freundinnen?
    Sie geben nicht auf.
    Weitermachen, heißt die Devise, V wie Victory.
    Und weil das nicht geht als Leichen, nisten sie sich in meinem Leben ein, die untoten Parasiten, und fressen mir den Schlaf weg, vierzig Jahre lang. Machen mich zu ihrer Speisekammer, plündern mich jede Nacht, damit sie nicht verhungern, bis es so weit ist. Bis der Tag für den letzten, den allerletzten Spaß gekommen ist.
    Das sieht ihnen ähnlich!
    Und es sieht mir ähnlich, dass ich mitgemacht habe. Schließlich bin ich in unserem Bund die Vierte, wie der Dichter sagt. Außerdem: Besser Spaß mit den Toten haben als gar keinen.
    Und jetzt zum Mitschreiben für alle, die keine netten Menschen mögen und Hunde scheiße finden:
    Wenn du einmal alt bist und einsam, wenn du niemanden mehr hast, dann schalt den Anrufbeantworter in deinem Kopf ein. Es wird piep machen, und jemand wird dir eine Nachricht hinterlassen.
    Almut, Karlotta hier. Mir ist langweilig. Ruf mich an,

Weitere Kostenlose Bücher