Der Zwerg reinigt den Kittel
haben.
Vogelgezwitscher.
Das ist das Einzige, was man hört. Und Musik, aber die ist nicht original, die ist aus der Konserve. Irgendein Fernsehfuzzi hat sie mit dem Vogelgezwitscher verschnitten, und wer immer dieser Fernsehfuzzi ist, ich rechne es ihm hoch an, dass er irgendeine Musik genommen hat, nicht das Forellenquintett.
Vogelgezwitscher, Musik. Die Kamera gleitet zügig über ein paar lächelnde runzlige Gesichter, Schnitt auf die Gladiolen, kurze Fahrt über den Brotkorb und den Obstteller, Schnitt auf die Gerbera. Schwenk auf die adrette Küchenhilfe, sie schenkt Kaffee ein. Kurze Fahrt über ihr rosa Kleid und weiter nach unten auf den Tisch, Zoom auf ein Stück Speck, Schnitt auf ein geöffnetes Fenster, Blick hinaus in die Grünanlage. Der frisch geschorene Dreimillimeterrasen glänzt im Sonnenlicht, Schnitt auf die Tür zum Speisesaal, die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommt herein.
Acht Sekunden.
Wir haben vierzig Minuten lang gefressen wie eine Horde ausgehungerter Häftlinge nach der Ãffnung des Lagers, aber im Fernsehen waren es nur acht Sekunden bis zum Auftritt der Ministerin.
Die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kommt herein, keiner von den Alten reagiert, die letzten Brotreste und Käsekrümel werden gerade vernichtet, und ich habe die Ministerin auch nur bemerkt, weil Attila mit einem messerscharfen Fauchen von Frau Schnalkes Schoà gesprungen ist und sich unter den Tisch verzogen hat.
Die Ministerin war nicht allein. Hinter ihr ist noch eine ganze Menge anderer Leute in den Speisesaal gekommen, es war eine richtige Karawane. Zuerst der Heimleiter, in Anzug und Krawatte, dann eine Frau im blaugrauen Hosenanzug, dann verschiedene Männer und Frauen mit Fotoapparaten, am Ende das Pflegepersonal. Schwester Olga war auch dabei, ein breites Band über den weiÃen Haaren, gelb mit roten Punkten. Hinter Schwester Olga dann Nummer 11 , ohne Pflaster im Gesicht, die Haare zu einer fluffigen Welle in die Stirn geföhnt. Dann Doppelrudi.
Rudolf Rudolph.
Ich erkenne ihn kaum wieder. Glattrasiert, Bundfaltenhose, weiÃes Hemd. Immerhin keine Krawatte, aber das rettet den Gesamteindruck jetzt auch nicht mehr.
Schwester Terese?
Ja, auch die. Als Letzte. Das Pflegepersonal hat sich schon an der Seite ohne Fenster aufgestellt, stramm wie Zinnsoldaten, die Presseleute haben schon die blauen Mappen auf den Klappstühlen mit ihren Hintern vertauscht, die Ministerin sitzt schon hinter dem Tisch unter der Uhr. Links von ihr der Heimleiter, rechts von ihr die Frau im blaugrauen Hosenanzug, neben dem Heimleiter ist noch ein Stuhl frei, wir Alten glotzen, ein paar ignorieren das Ganze hartnäckig und vertilgen weiter Essensreste, Schwester Terese betritt den Raum.
Sechzig alte Leute erstarren.
Aus Gewohnheit, würde ich sagen, und weil die Angst eine treue Gefährtin ist und eine liebe Gewohnheit.
Schwester Terese sieht aus wie immer. Kein neues Kleid, keine gepuffte Bluse, null Make-up, und sowas hat sie auch nicht nötig.
Ich weià nicht, ob ich das je erwähnt habe, aber ich glaube nicht. Habe ich je erwähnt, dass Schwester Terese sehr schön ist? Eine sehr schöne Frau, und sehr jung für eine Oberschwester. Fast so jung wie die Ministerin für eine Ministerin, nur jünger. Und viel schöner. Prinzessinnen sehen so aus, in Märchenbüchern, oder betende Engel auf marmornen Gräbern, von Meisterhand modelliert.
Schwester Terese: Allegorie der Anmut.
Hundeköpfige, Schlangenäugige, Rattenschnelle.
Sie schlieÃt die Tür hinter sich und geht auf ihren Platz. Heute ist ihr Platz der leere Stuhl neben dem Heimleiter, und während sie geht, geht ein Raunen durchs Pressevolk.
Knips.
Jemand macht ein Foto.
Knips, wieder jemand. Knipsknips.
Schwester Terese lächelt nicht und sie blickt auch nicht in die Kameras, die so etwas Schönes schon lange nicht mehr gesehen haben, vielleicht noch nie. Sie setzt sich.
Die Ministerin sagt: »Meine Damen und Herren, ich begrüÃe Sie zur Pressekonferenz hier in diesem«, sie macht eine ausladende Handbewegung, »schönen Seniorenwohnheim. Wir haben diesen etwas ungewöhnlichen Rahmen gewählt, um Ihnen nicht nur unser Leuchtturmprojekt vorzustellen, sondern auch den Ort, an dem wir dieses Projekt realisieren werden. Ich darf Ihnen nun die Runde vorstellen.«
Die Ministerin stellt die Runde vor.
Sie sagt,
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