Der Zwerg reinigt den Kittel
oder gespiegelt mit Speck?«, sagt die Küchenhilfe in ihrem einfachen, aber kreativen Deutsch. Ich sehe sie an. Keine Hygienehaube, kein verschwitztes T-Shirt. Die Haare sind zu einem glänzenden schwarzen Zopf geflochten, das Kleid sieht neu aus. Leichte Baumwolle, zartrosa, der Lippenstift ist auch rosa. Gepudertes Gesicht, tiefblaue Wimperntusche.
Hübsch, würde ich sagen. Die Küchenhilfe sieht heute sehr hübsch aus, und Schwester Cornelia hat sich auch Mühe gegeben. Sie sitzt am Nebentisch und stopft Weichkäse in den Mund einer uralten verschrumpelten Frau, vielleicht ist es auch ein uralter verschrumpelter Mann, das kann man nicht so genau sagen, auf jeden Fall steckt Schwester Cornelia in einer blauweià gestreiften Bluse mit gepufften Ãrmelchen. Die fleischigen Oberarme wissen nicht so recht, was sie von den Ãrmelchen halten sollen, aber es ist verdammt eng darunter, und bald wird die eine oder andere Naht platzen, schätze ich.
Schätze, ich sollte das Spiegelei nehmen. AuÃerdem sollte ich jetzt so schnell wie möglich mit dem Frühstück anfangen, bevor es weg ist.
Vernichtet.
Vertilgt.
Zermalmt von den dritten Zähnen meiner Tischgenossen, zum Beispiel von Frau Wimmers Zähnen, die sich gerade in ein Käsewurstbrot schlagen. Oder von den Zähnen der Gräfin, sie schiebt sich gerade eine Ladung Cornflakes in ihren breiten Mund, ich sage: »Ei gespiegelt mit Speck, sehr fett gebraten. AuÃerdem â¦Â«, ich überlege, ob ich das jetzt wirklich sagen soll. Ob ich mich trauen soll.
»Ja?« Die Küchenhilfe streicht sich über den schwarzglänzenden Zopf und lächelt.
Dem Mutigen gehört die Welt. »AuÃerdem will ich keinen Filterkaffee, ich will Espresso. Doppelt.«
»Gerne.« Die Küchenhilfe trabt davon.
Gerne? Hat sie gerade gerne gesagt?
»Gerne, gerne! Doppelt, doppelt!«, jubelt Frau Fitz und kippt Honig auf ihr Brot, das fingerdick mit Nutella bestrichen ist. Wie es aussieht, hat es Frau Fitz gerade noch geschafft, bevor das Nutellaglas in Frau Schnalkes persönlichen Besitz übergegangen ist. Frau Schnalke hält das Glas in ihren dicken Fingern und verfüttert die braune Paste mit einem Kaffeelöffel abwechselnd an sich und Attila, der auf ihrem Schoà sitzt. Frau Sonne macht groÃe, gierige Augen und bettelt leise. »Ich will auch, bitte«, bettelt sie, »nur ein bisschen, oh bitte, bitte.«
Nutella für alle?
Zeit für den Satz: Mein Gott, dass ich das noch erleben darf.
Meine alten Affenpfoten, die gerade noch schlaff vor Erstaunen auf dem Tischüberwurf gelegen haben, der heute nicht aus Plastik ist, sondern aus weiÃem Stoff â meine Affenpfoten verwandeln sich in Kampfflieger und starten los. Zittrig, aber zu allem bereit. Ihr erstes Ziel: die Käseplatte. Das nächste wird die Wurstplatte sein, das weià ich schon jetzt, dann das Nutellaglas. Ich werde es Frau Schnalke aus den Händen bomben, und es ist mir egal, wie viele Unschuldige dabei draufgehen.
Das letzte Gefecht.
So würde ich das heute nennen, was damals passiert ist, in diesen dreiÃig Minuten vor Beginn der Pressekonferenz, und ich möchte lieber nicht darüber reden. Nicht im Detail, es war kein schöner Anblick.
Ersparen wir uns also die Details und sagen wir einfach: Meine Luftstreitkräfte haben einen ganzen Kontinent verwüstet.
Ohne Rücksicht auf Verluste.
Ohne Gnade für den Feind.
Kontinent Frühstück.
Es gibt übrigens Bilder davon, bewegte Bilder. Aufgenommen von einer Fernsehkamera, so ein groÃes Ding mit dickem Kabel, sie steht ganz hinten in der Ecke des Speisesaals, der Mann hinter der Kamera hat Kopfhörer auf, und ich will damit nur sagen, dass Sie nicht auf meine Erzählung angewiesen sind. Sie können sich das Ganze im Fernsehen anschauen, wenn Sie wollen, der Beitrag läuft noch immer, hin und wieder, in Am Puls der Politik .
Zum Glück sieht es im Fernsehen gar nicht nach dem aus, was es war. Keine Spur von letztem Gefecht. Keine Bilder von den aufgerissenen alten Mäulern, in denen klumpenweise Hartkäse verschwindet oder riesige, abenteuerlich belegte Brote ihrem Untergang entgegensteuern wie Schlachtschiffe. Sieht man alles nicht, und hören kann man es auch nicht, das Schmatzen und Rülpsen von sechzig alten Leuten, die seit Jahren kein anständiges Frühstück mehr bekommen
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