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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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morgen brauchen.«
    Â»Danke, Frau Minister. Sofern dieses Projekt erfolgreich ist, wovon wir ausgehen, wird es die Regierung als Standardmodell einführen, und jeder pflegebedürftige ältere Leistungsbezieher hat sich bei Bedarf als Proband zur Verfügung zu stellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass es keinerlei Zwang gibt. Es steht natürlich jedem frei, die Zukunft aktiv mitzugestalten oder sich dieser Verantwortung zu entziehen. Wer Letzteres vorzieht, hat mit keinerlei Strafmaßnahmen zu rechnen, und der Entzug des Pflegegeldes sowie des Heimplatzes sind keine Strafmaßnahmen, sondern notwendige Maßnahmen. Wir benötigen alle Ressourcen für die freiwilligen Probanden.
    â€ºBarrierefrei forschen‹ ist ein Projekt, mit dem wir heute im kleinen Rahmen beginnen und morgen im großen weitermachen. Heute, morgen, übermorgen – so lange, bis sich die demographische Lage entspannt hat und es auch in unseren Breiten wieder mehr junge Menschen gibt als Menschen, die – und bitte missverstehen Sie das jetzt nicht als Zynismus, es ist ein Faktum –, als Menschen, die zu lange leben.
    Meine Damen und Herren, liebe Probanden: Es wird eine spannende Zeit!«

3
    Knack. 08 : 52.
    Es ist still auf dem Gang, wir sind allein. Nur die Uhr und ich, sie schimmert in sattem Nagellackrot, ich habe eine Kaffeekanne in der Hand, das Porzellan schimmert in mattem Weiß.
    Ich warte.
    Vor der Klotür.
    Auf die Ministerin.
    Die Pressekonferenz ist seit ein paar Minuten vorbei, jetzt bekommen die Journalisten Kaffee und Kuchen, es hat nicht viele Fragen gegeben, schon gar keine kritischen, und das ist okay.
    Die sind alle so zwischen zwanzig und vierzig, die Presseleute, und deswegen ist das sehr verständlich, dass niemand besonders kritisch war. Schon wegen der Pressemappe. Alle haben darin geblättert, und ich kann mir gut vorstellen, was da drinsteht. Statistiken, Zahlen, Tabellen. Demographische Entwicklung, harte Fakten. Wer woran stirbt in vierzig Jahren oder fünfzig, weil es welches Medikament wofür oder wogegen noch nicht gibt.
    Schlimmer noch: Wer woran nicht stirbt.
    In fünfzig Jahren ist so ein vierzigjähriger Pressemensch neunzig, und er wird leben, laut Statistik, aber er wird verschlissene Gelenke haben und verstopfte Arterien. Er wird halbblind sein und so gut wie taub, er wird seinen Urin nicht mehr halten können.
    Ein ganz normaler alter Mensch.
    Laut Statistik stehen die Chancen gut, dass er plemplem ist, und da wäre es schon nicht schlecht, wenn die FrontPharma AG rasch etwas finden würde, zum Beispiel eine Injektionslösung, die alle Probleme auf einen Schlag löst.
    Eine Injektionslösung gegen das Altwerden.
    Die Kanne in meiner Hand ist noch fast voll, sie ist schwer, ich halte sie trotzdem die ganze Zeit in die Höhe, ich sehe aus wie die Freiheitsstatue mit ihrer Fackel. Ziemlich idiotisch, keine Frage, aber so sieht das eben aus, wenn man für die Freiheit kämpft.
    In meiner Hosentasche steckt die Serviette von Schwochow, ich habe ihn um das eklige Ding gebeten, er hat es mir gegeben. »Aber gerne mein Täubchen höhö knick knack. «
    Dann bin ich der Ministerin nachgegangen, hinaus aus dem Speisesaal. Keiner hat es bemerkt, alle waren beschäftigt mit ihren Kuchengabeln, auch die Alten. Sie haben auch Kuchen bekommen, und jetzt essen sie den Kuchen, und ich weiß nicht, wie viele eigentlich kapiert haben, was da gerade abgegangen ist. Frau Fitz hat sicher nichts kapiert, und Frau Wimmer auch nicht. Frau Sonne vielleicht, aber die ist die Letzte, die sich wehrt. Frau Schnalke macht alles, was Schwester Terese ihr sagt, und Schwochow ist schon aus sportlichen Gründen ein Mitläufer. Bleibt nur die Gräfin, und der ist alles egal. Die Vergangenheit, die Gegenwart, alles egal, nur die Zukunft zählt, und die Zukunft ist der Tod.
    Durch die Klotür höre ich das Rauschen der Spülung, ich hebe die Hand noch ein Stück weiter nach oben, gleich kommt sie heraus, die Ministerin. Wenigstens weiß ich jetzt, wohin Attila das Auge von Fips gespuckt hat, und für einen Moment bin ich froh, dass Marlen schon seit vierzig Jahren tot ist. Sie würde mir jetzt den Hals umdrehen mit ihren Krallenhänden, weil ich uns schon wieder hineingeritten habe in die Scheiße.
    Weil ich nicht wachsam war.
    Weil ich es verpennt habe.
    Die Klotür geht auf, die Ministerin macht einen Schritt

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