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Der Zwerg reinigt den Kittel

Der Zwerg reinigt den Kittel

Titel: Der Zwerg reinigt den Kittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Augustin
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Wärterin und ich. Die Zelle ist im vierten Stock, also wird das hier wohl der Keller sein.
    Â»Im Keller«, sage ich.
    Doktor Klupp macht sich eine Notiz.
    Â»Ich werde jetzt drei Worte sagen, Frau Block. Bitte wiederholen Sie diese Worte.
    Mond.
    Zitrone.
    Ball.«
    Â»Mondzitroneball.«
    Doktor Klupp nimmt einen losen Zettel aus seinem Notizbuch.
    Â»Bitte lesen Sie, was auf diesem Zettel steht, und tun Sie es.«
    Er schiebt mir den Zettel zu. Hoffentlich steht da jetzt nicht Sag Norbert zu mir und küss mich. Ich beuge mich vor, die Schrift ist ziemlich klein, ich lese.
    Schließen Sie die Augen.
    Ich lese noch einmal.
    Schließen Sie die Augen.
    Â»Nein«, sage ich und schiebe den Zettel weg.
    Â»Wie?«
    Doktor Klupp sieht mich irritiert an.
    Â»Nein. Ich werde das nicht tun.«
    Â»Aber …«
    Â»Nichts aber. Meine Augen bleiben offen.«
    Â»Frau Block, das ist nur ein Routinetest.«
    Â»Ich weiß. Machen wir weiter, nächste Aufgabe. Von mir aus können Sie mir einen Punkt abziehen für die Sache mit den Augen.«
    Doktor Klupp rückt seine Brille zurecht, obwohl sie gar nicht verrutscht ist. Sieht echt übel aus, so eine randlose Brille, sie steht ihm. Jetzt beugt er sich ein Stück über den Tisch zu mir vor.
    Â»Frau Block«, sagt er eindringlich, »ich kann die Befragung nicht abschließen, wenn Sie den Demenztest verweigern. Ich kann kein Gutachten schreiben, und das bedeutet: Alles verzögert sich. Außerdem«, er beugt sich noch ein Stück weiter vor, »wird man Sie von Ihren …«, er sucht nach einem Wort, »Ihren Freundinnen separieren, bis Sie sich kooperativ zeigen. Man wird Sie in eine Einzelzelle stecken, Frau Block.«
    Der Einzelne und seine Zelle. Der Mensch und sein Gehäuse. Vier Wände, in der Mitte ich, ganz allein. Keine schlechten Witze, kein Gekicher, nicht einmal eine Gummipalme zum Reden, und die Möbel schweigen mich an. Wochenlang, monatelang, vielleicht Jahre.
    Gibt es Personen, Lebewesen, Gegenstände oder Situationen, die bei Ihnen Ängste auslösen?
    Ich habe damals nicht geantwortet und nur mit den Schultern gezuckt. Das steht körpersprachlich für keine Angabe. Ich wollte nicht lügen, aber die Wahrheit sagen wollte ich auch nicht, und die Wahrheit ist: Ich bin nicht Karlotta, und deswegen habe ich Angst. Vor Situationen. Nicht vor allen, aber vor zweien.
    Situation eins: alleine sein.
    Situation zwei: die Augen schließen.
    Ich muss mich entscheiden: Angst haben oder Angst haben.
    Welche ist größer?
    Ich schließe die Augen.
    Meine Lider klappen nach unten, und sofort sind sie da, die Flecken. Rötliche Flecken überall, zuerst noch vor schwarzem Hintergrund, sie flimmern und machen dieses Geräusch, von dem ich nie weiß, ob es ein Knirschen ist oder ein Knistern. Ob es klingt wie Sandpapier, das meine Pupillen wundscheuert, oder wie etwas, für das ich keinen Vergleich habe.
    Knister. Knirsch.
    Die Flecken werden größer, sie breiten sich aus, sie verschmelzen, jetzt ist alles rot. Ein rotes Meer, ein flammender Ozean. Das Wasser ist siedend heiß, das Wasser brennt, es verschlingt meine Augäpfel, mein Gott, tut das weh, ich reiße die Augen auf.
    Ratsch.
    Doktor Klupp betrachtet mich interessiert.
    Â»Zufrieden?«, sage ich. »Können wir jetzt weitermachen?«
    Meine Augen tränen, meine Stimme klingt komisch. Jemand hat meine Stimme genommen und in einen Schraubstock geklemmt, ich befreie sie mit einem Räuspern.
    Â»Frau Block«, Doktor Klupp betrachtet mich noch interessierter, »Sie sind schweißgebadet.«
    Ach wirklich? Danke für die Information, Klugscheißer.
    Â»Was ist da gerade mit Ihnen passiert, Frau Block?«
    Geht dich nichts an, Klugscheißer.
    Â»Hat es etwas mit Ihren Schlafgewohnheiten zu tun? Ich habe vom Seniorenwohnheim den Bericht der leitenden Oberschwester angefordert, und aus diesem Bericht geht hervor, dass Ihre Schlafgewohnheiten alles andere als normal sind. Da steht, dass Sie nicht schlafen können, Frau Block.«
    Die Oberschwester ist eine böse, böse Frau.
    Doktor Klupp klappt sein Notizbuch zu.
    Â»Wir lassen das mit dem Demenztest, Schluss für heute. Morgen fangen wir mit der Biographiearbeit an.«

3
    Fruchtfliegen schlafen zehn Stunden pro Tag, mit offenen Augen. Sie können ihre Lider nicht schließen, weil sie keine haben.
    Die beliebtesten Versuchstiere

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